SWR2 Wort zum Tag

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Verlässt jemand seine bisherige Religionsgemeinschaft und bekennt sich zu einer anderen, dann stößt er mit seiner Entscheidung meist auf Unverständnis. Das war auch beim früheren Erzbischof von Paris Jean Marie Aron Lustiger so, der im Juli dieses Jahres im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Als Jugendlicher war er vom Judentum zum Christentum übergetreten. An seiner Trauerfeier haben Würdenträger der Kirche ebenso teilgenommen wie Vertreter der französischen Juden, wie Politiker, Dichter und Philosophen, die ihm als Mitglied der Académie francaise verbunden waren. „War er Verräter oder Versöhner?“, „Reaktionär oder Heiliger?“ – so fragten französische Zeitungen in ihren Nachrufen.
Jean Marie Aron Lustiger ist 1926 als Sohn jüdischer Eltern in Paris geboren. Seine Mutter Gisèle wurde in den Jahren der deutschen Besatzung denunziert, nach Auschwitz gebracht und kam dort 1943, kaum vierzig Jahre alt, ums Leben. Mit seiner Schwester Arlette zusammen musste Aron aus Paris flüchten. Die Erlebnisse dieser Jahre führten ihn dazu, dass er Christ wurde und sich taufen ließ. Er wollte Christ sein, ohne sich von seinen jüdischen Wurzeln zu trennen. Verständlich, dass diese Entscheidung bis zum Ende seines Lebens umstritten blieb.
Eine Neffe des Kardinals sagte bei seinem Tod: „Er war zu einer lebendigen Brücke geworden zwischen Juden und Christen über einen Fluss von bösem Blut, der das Christentum vom Judentum Jahrhunderte lang trennte.“ (Arno Lustiger, FAZ, 8.8.07, 34). Und er erzählt: „Auch als Priester und Bischof nahm er immer wieder an den jüdisch-religiösen Feiern seiner Angehörigen in der Synagoge teil und in seinem Testament verfügte er, dass nach seinem Ableben ein Mitglied seiner jüdischen Familie das Kaddisch-Gebet sprechen sollte“.
Kaddisch ist der Lobpreis Gottes, der in den jüdischen Tagesgebeten und Gottesdiensten einen festen Platz hat. Bei einem Todesfall sprechen ihn die Angehörigen der Familie: „Erhaben und geheiligt werde Gottes großer Name in der Welt, die er nach seinem Willen erschaffen. Sein Reich erstehe in eurem Leben und in euren Tagen. ... Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, er stifte Frieden unter uns und ganz Israel.“
Juden und Christen hatte Kardinal Lustiger in seinem Leben einiges zugemutet. Am Ende hat er ihnen Mut gemacht, sich, über ihre Unterschiede hinweg, und im Wissen um die schwere Last der Vergangenheit, dennoch im ‚Kaddisch’ zu begegnen, im Lobpreis des einen Gottes. So ist der Weg, den er ging, - bei aller Zumutung – vielleicht doch ein Beitrag zu Versöhnung und Frieden gewesen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2621
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