SWR2 Wort zum Tag

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Anvertrauen – dieses Wort hat für mich eine sehr tiefe Bedeutung gewonnen. Das Allerwichtigste im Leben, einen geliebten Menschen, in die Hände, in die Verantwortung anderer zu geben und darauf zu vertrauen, dass sie es gut meinen und gut machen und so sorgsam wie möglich mit dem anvertrauten Schatz umgehen; darauf vertrauen, dass sie das Menschenmögliche tun, damit alles gut wird – das heißt anvertrauen. 

Was damit gemeint ist, habe ich in den vergangenen mehr als vier Monaten mit existenzieller Wucht erfahren, als ich Tag für Tag am Krankenbett meiner Frau war. Die Ärzte, das Pflegepersonal – sie haben das Menschenmögliche getan. Aber mehr als das Menschenmögliche vermögen Menschen eben nicht. Und dann bekommt das noch einmal eine ganz andere Dimension, was ich mit Anvertrauen meine. Es wird zu einer geradezu grenzwertigen Zumutung an meinen Glauben. Das Leben und die Zukunft eines geliebten Menschen und damit auch mein eigenes Leben und meine eigene Zukunft und unser gemeinsames Leben und unsere gemeinsame Zukunft Gott anvertrauen und beten: „Dein Wille geschehe“ – das ist ein hartes Ringen. 

Wie glücklich bin ich, wenn das, was er mit mir vorhat, auch meinen eigenen Hoffnungen und Wünschen entspricht. Aber wenn nicht? Habe ich auch dann noch das Vertrauen, dass er es gut meint und gut macht? Wie kann ich das sehen? 

Anvertrauen, das musste ich bitter lernen, bedeutet Loslassen. Ich habe letztlich nur ganz wenig vom Leben in der eigenen Hand. Ich kann nicht darüber verfügen. Ich bin nicht allmächtig, sondern am Ende zutiefst ohnmächtig. Habe ich dann das Vertrauen, loszulassen; alles in die Hände dieses Du zu legen, das ich Gott nenne und der mich in ein großes Dunkel hineinführen kann, in dem ich weder Licht noch Sinn mehr sehen kann? Aber in wessen Hände sollte ich mich denn sonst fallen lassen, wenn die eigenen Hände nichts mehr halten können? 

Anvertrauen heißt auch, meine Endlichkeit einzugestehen. Ich erfahre, wie vorläufig meine Pläne und Wünsche und wie zerbrechlich menschliches Miteinander ist. Es bleibt so viel Leben, das nicht mehr nachgeholt und nicht mehr in die Zukunft hinein gelebt werden kann. Ich muss die Grenzen aushalten. Ob sich mir an den äußersten Grenzen auch einmal die unendliche Fülle zeigen wird? Ich hoffe es so sehr.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26197
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