SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Mehr als sonst im Lauf des Jahres denken wir im Monat November an die Begrenztheit unseres Lebens und an sein Ende, an den Tod und an die Verstorbenen. Allerheiligen und Allerseelen, Volkstrauertag und Totensonntag sind dafür besondere Anlässe. Das abnehmende Licht, die zunehmende Kälte erinnern daran: Der scheinbare Kreislauf der Jahre ist in Wirklichkeit eine Bewegung, die einen Anfang und ein Ende hat. Leben beginnt und Leben endet. Die Jahre vergehen, unaufhaltsam.
Fragen wir nach dem Ziel des Lebens und ob es sinnvoll ist, an ein Leben über den Tod hinaus zu denken und darauf zu hoffen, dann finden wir ganz verschiedene Antworten. Selbst im Gebetbuch der Psalmen ist das so. Die Psalmen haben eine Vielzahl von unterschiedlichen Autoren und sind in mehreren Jahrhunderten entstanden. In ihnen verdichten sich die Erfahrungen, die Israel in seiner Geschichte mit Gott gemacht hatte. So geben sie uns auch Einblick in unterschiedliche Vorstellungen in der Frage nach einem Leben über den Tod hinaus. Lange Zeit teilte Israel die Vorstellungen vieler Völker der Antike von einer schattenhaften Existenz des Menschen nach seinem Tod im ‚Hades’, im ‚Orcus’, in der ‚Scheol’ – so das hebräische Wort.
In den Psalmen finden wir die bange Frage an Gott: „Wirst du an den Toten Wunder tun?“ (88). Die Fragen wandeln sich im Laufe der Zeit zu behutsamer Zuversicht: „Du gibst mich nicht der Unterwelt preis“ (16). „Du nimmst mich auf in deine Herrlichkeit“ (73). „Stiege ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen“ (139). „Aus der Tiefe rufe ich; alles in mir hofft“ (130).
Bedeutet Leben Gemeinschaft mit Gott, warum sollte dann die Zuwendung und Gemeinschaft, die er schenkt, mit dem Tod zu Ende sein? Warum sollte Gott nicht mehr an die Toten denken? Warum sollten sie ihn nicht mehr loben können? Warum sollte Gott nicht von sich aus überschreiten, was für den Menschen eine unerbittliche Grenze ist?
Glaube und Vertrauen auf Gott über den Tod hinaus bestanden in Israel nicht von Anfang an. Die Hoffnungskraft von Menschen – so lehren uns die Psalmen - entwickelt sich mit den Vorstellungen, die sie von Gott haben. In dem Maße, wie sie Gott groß zu denken vermögen, groß in seiner Liebe zum Menschen, in dem Maße wächst der Mut zur Hoffnung, dass diese Liebe über den Tod hinaus bestehen bleibt. Warum sollte nicht Gott dort, wo Menschen am Ende sind, einen neuen Anfang schenken wollen?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=2619
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