SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Eine Freundin von mir ist gestorben. Ich kannte sie seit Kindertagen. Ich war fassungslos. Dann ist mir ein neues Lied aus unserem hessischen Gesangbuch begegnet. Das hat mir geholfen.

„Manches Holz ist schon vermodert“, so beginnt das Lied. Und damit spielt es an auf das Holz vom Kreuz von Jesus Christus. Die Geschichte ist lange her; und wie bei vermodertem Holz kann man sich deshalb fragen: Braucht das heutzutage noch jemand: sich mit der alten Geschichte zu befassen?

Schon die zweite Textzeile des Liedes aber macht klar, dass es nicht viel hilft, wenn ich das Thema im hintersten Winkel ablege: „Manches Holz ist frisch geschlagen“, lautet die zweite Zeile.

Wie der Tod der Freundin: vor der Zeit, frisch geschlagenes Holz. Die Liedzeile fasst es in Worte: Holz, das frisch geschlagen ist, das lässt mich denken an ein Leben, das eben zu Ende gegangen ist. Mit einem Schlag. Keine alte Geschichte aus vergangenen Zeiten sondern eine frische Wunde. Noch nicht verarbeitet. Noch nicht einsortiert und eingeordnet. In diesem Lied begegnen sich die beiden Hölzer. Das aus der Vergangenheit und das aus der Gegenwart.

Und so ist es auch bei den Trauernden: Junge Trauer, der Schmerz über den Abschied heute begegnet dem, was wir über den Tod von Jesus hören.

Manches Holz ist schon vermodert, manches Holz ist frisch geschlagen. Bei dem Kreuz mit Blick zum Himmel sammeln sich in diesen Tagen Splitter der Erinnerung, Trauer, die wir in uns tragen.

Das Lied hat vier Strophen; und in jeder Strophe steht in der Mitte die Formulierung „bei dem Kreuz mit Blick zum Himmel“. Mir kommt in den Sinn, dass man an manchen großen Wegkreuzen unweigerlich nach oben schauen muss. Je näher man am Kreuz dran ist, um so mehr geht der Blick nach oben. So ist das auch in der Trauer. Je dichter ich dran bin, um so mehr lenkt sie den Blick nach oben, zum Himmel, zu Gott. Auf der Suche nach Trost.

Das Lied schlägt zuletzt einen behutsamen Hoffnungston an. In der der letzten Zeile spricht es davon, dass es Gottesworte geben kann, die uns tragen. Vielleicht ist das, was in frischer Trauer trägt, gar nicht ein bestimmtes Wort oder ein bestimmter Satz. Mich trägt vielmehr die alte Geschichte vom Kreuz Jesu. Sie lässt mich einen Moment aufschauen aus meiner eigenen Traurigkeit. Der Blick zum Himmel wird frei – Gott ist stärker als der Tod.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26160
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