SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Für mich gehört John Cage zu den genialsten Musikern des letzten Jahrhunderts. Er war cool. Er hat mir die Augen dafür geöffnet, dass Musik so viel mehr ist als bloß Töne. In den 40er Jahren entdeckt er eine neue Art Musik: die Stille. Er besuchte einen schalltoten Raum der Harvard University. Der Raum war so gebaut worden, dass die Wände keine Geräusche zurückwerfen, nach außen hin ist er fast komplett schalldicht. John Cage betrat den Raum und erwartete, rein gar nichts zu hören. Doch so war es nicht. Er hörte zwei Laute, einen hohen und einen tiefen Ton. Als er diese Laute dem Techniker des schalltoten Raumes beschrieb, erklärte dieser: der hohe Ton, das ist das Nervensystem und der tiefe Ton, das ist der Blutkreislauf.

John Cage entdeckte in diesem Raum: es gibt Musik, die kann ich nur hören, wenn es ganz still ist. Dazu braucht es ein offenes Ohr. Dazu braucht es Abstand von allem Aktionismus. Stille heißt „geschehen lassen“. Und genau das hat John Cage dann versucht, musikalisch in die Tat umzusetzen und schrieb den Song 4’33. Der Pianist setzt sich ans Klavier – und schweigt vier Minuten und 33 Sekunden lang.

Was man hört in der Stille? Man hört, dass die Stille lebt. Da raschelt es und knarrt und summt und knackt. Da kommt etwas zum Klingen, was ich sonst nicht höre.

In der Bibel steht, dass Gott nicht im Lärm zu finden ist. Gott steckt nicht im Getöse und sei es noch so gewaltig. Nein, Gott ist das Gegenteil: er ist sehr leise. Und nur, wenn man still ist, kann man ihn hören. Dazu braucht es ein offenes Ohr. Dazu braucht es Abstand von allen Aktionen. Stille ist nicht einfach. Die 4‘33 kommen einem ewig vor. Aber es lohnt sich, einmal auf diese besondere Musik zu lauschen.

Was man in der Stille hört? Die Welt mit ihren vielfältigen Geräuschen, sich selbst und den eigenen Körper und, ja, auch Gott.

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