SWR2 Wort zum Tag

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„Gott ist mein Heil, ich bin sicher und fürchte mich nicht.“ (Jesaja 12,2) heißt es in der Bibel. Aber die meisten Patienten in der Klinik, sind unsicher und fürchten sich und denken: Wenn Gott mein Heil wäre, dann läge ich nicht hier. Wenn Gott mein Heil wäre, müsste ich nicht schon wieder unters Messer.

Aber  quasi probeweise, nach Jahren vielleicht das erste Mal, versuchen sie zu beten.  Und sind dabei ziemlich unsicher. Hört der mich? Gibt es den? Und wenn ja, muss der nicht sauer sein auf mich, so, wie ich ihn all die Jahre habe links liegen lassen?

Gut zu verstehen, solche Bedenken. Denn wir hätten sie genau so bei einem ehemals sehr guten Freund, dem man einmal vielleicht sehr nahe stand. Aber weil er zu weit weg wohnt, haben wir den Kontakt verloren und seine letzten Geburtstagsgrüße nicht beantwortet.  Und erst nach Jahren, weil einem aus Zufall gerade mal die Nummer wieder in die Hand gefallen ist und es uns schlecht geht, rufen wir an. Muss der nicht beleidigt sein und denken: „Ja, so lange es gut geht und du mich nicht brauchst, meldest du dich nicht. Aber jetzt falle ich dir wieder ein.“ Verständlich,  und doch: zeigt sich nicht wirkliche Freundschaft darin, dass sie auch das aushält und ganz einfach wieder da weitermacht, wo sie vor Jahren aufgehört hat? Zeigt sie sich nicht in ihrer Selbstverständlichkeit, darin, dass sie nicht wankt und sich nicht beleidigt fühlt?  Wenn er Charakter hat und Mitleid und wirklich Freund war, dann wird er auch bei diesem Anruf nicht kalt und beleidigt  reagieren. vor allem, wenn er merkt, dass es einem schlecht geht. Er wird vielmehr sagen: „Ich habe oft an dich gedacht. Wie geht es dir?“ Sollte Gott sich wirklich schlechter aufführen als ein guter, alter Freund, nur weil wir ihm nicht andauernd Beachtung schenken?

„Vielleicht macht es Gott ja nichts aus, wenn man sich nur im Notfall an ihn wendet.“ schreibt Julian Barnes. „Außenstehende mögen meinen, jede vernünftige Gottheit müsse sich beleidigt fühlen, wenn ihr nur so punktuell und eigennützig Beachtung geschenkt wird. Aber vielleicht sieht Gott das anders. Vielleicht will er in seiner Bescheidenheit nicht täglich und erdrückend auf unserem Leben lasten. Vielleicht fühlt er sich als Pannenhelfer, Versicherungsgesellschaft oder Ausputzer ja ganz wohl.“

Gott als Pannenhelfer, als Ausputzer, vor allem als einer, der die Tugend verkörpert, die doch eine der angenehmsten menschlichen ist: nämlich Bescheidenheit. Vielleicht macht es Gott genau darum nichts aus, wenn man sich nur im Notfall an ihn wendet. Es kommt auf einen Versuch an.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26141
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