SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich singe gerne – am liebsten mehrstimmig mit anderen zusammen z.B in einem Chor. Auf Anhieb gelingt das nicht so einfach, meistens braucht man dafür eine gewisse Übung. 

Zuerst geht es darum, die eigene Stimme richtig zu singen. Gar nicht so einfach, wenn jede Stimme anders klingt. Ich konzentriere mich daher nur auf meine Stimmgruppe. Aber richtig Musik entsteht erst dann, wenn ich mich mit meiner Stimme in den Gesamtklang einfüge. Dazu muss ich auf die anderen Stimmen hören, manchmal auch bewusst Dissonanzen aushalten und die Harmonien genau intonieren. Wenn es dann richtig zusammenklingt, ist das immer wieder ein faszinierendes Erlebnis. 

Was ich beim Chorsingen erlebe, entdecke ich  auch im Zusammenleben. Auch da kommt es erst mal darauf an, dass ich meinen eigenen Ton finde. Wer bin ich eigentlich und wie will ich leben? Wo ist mein Platz? Das ist gar nicht so einfach herauszufinden. Vor allem als junger Mensch. Da brauche ich Menschen, die ähnlich wie ich fühlen und denken.  Die mich ermutigen. Mit denen ich mich ohne große Probleme verstehe. 

Aber das Leben wäre langweilig, wenn es nur diese eine Stimme gibt – nämlich meine Art zu leben und zu denken. Dass Menschen verschieden sind, macht das Leben spannend. Wenn es ums Zusammenleben geht, ist das allerdings nicht so einfach. Wenn verschiedene Wertvorstellungen aufeinandertreffen, dann führt das schnell zu Auseinandersetzungen. Was ist richtig? Wie soll man leben? Allzu schnell bin ich dann verleitet, nur  meines gelten zu lassen und zu verteidigen. Diese Haltung nehme ich auch um mich herum vielfach wahr. Menschen schotten sich in ihren Communities ab und lassen nichts anderes gelten als ihre Lebensgewohnheiten und ihre Weltanschauungen. Dabei könnte es spannend sein, auch die anderen näher kennenzulernen und  zu verstehen. Das Leben ist vielstimmig. Wie ein komplexes Musikstück. 

Diese Verschiedenheiten und mitunter auch die Dissonanzen auszuhalten, fällt mir persönlich nicht so leicht.  Ich möchte gerne, dass eine gute, harmonische Stimmung herrscht. Meine Erfahrungen im Chorsingen ermutigen mich da Geduld zu haben und immer wieder aufeinander zu hören, ohne die eigene Stimme aufzugeben. Dissonanzen gehören dazu, sie sind Übergänge, die zur Entwicklung nötig sind und zu neuen Harmonien führen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26135
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