SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Jedes Mal hat er es gesagt, der alte Herr, wenn wir uns voneinander verabschiedet haben. Dieses eine Wort: Freunde. Und sein Gesicht hat richtiggehend geleuchtet dabei. Weil es ihm so wichtig war. Mehr noch, es war ihm heilig. Nicht das Wort, sondern die Tatsache: dass er und ich nicht bloß bekannt miteinander waren, flüchtig und beiläufig, wie das bei Menschen eben manchmal ist, sondern dass wir in echter Freundschaft verbunden waren. Hellmut hätte leicht mein Vater sein können, war über vierzig Jahre älter als ich, weit gereist, belesen. Er ist einst ein hoher Staatsbeamter gewesen und vielfach ausgezeichnet. Aber das alles hat überhaupt keine Rolle gespielt für ihn im Vergleich mit jener Nähe unserer Herzen, die im Laufe der Jahre entstanden war. Auf die kam es ihm an, die hat er für wertvoll gehalten: Seine Freundschaften mit mir und etlichen anderen Personen. Freundschaft war so etwas wie das Leitmotiv seiner letzten Jahre. Hellmut hat seine Freundschaften gepflegt, weil sie das Wesentliche waren, das ihm geblieben ist, und was sein Leben auch mit über neunzig Jahren und den dazu gehörenden Gebrechen schön und lebenswert gemacht hat. Für ihn muss das ein unbeschreibliches Glück gewesen sein, hinter dem alles Übrige zurück getreten ist. Ob das der Grund ist, warum ich mich nicht an eine einzige traurige oder resignierte Begegnung erinnern kann?

Und ich? Ich habe manchmal gemerkt, dass ich noch nicht an dieser Stelle meines Lebens bin, wo es darum geht, sich ganz aufs Wesentliche zu konzentrieren. Da gibt es immer noch den Beruf mit seinen Aufgaben. Die Rente ist weit und der Tod vermeintlich noch viel weiter. Aber dass meinem väterlichen Freund die Freundschaft mit mir so wichtig war, das hat mir schon zu denken gegeben. Es hat meine eigenen Prioritäten auf den Prüfstand gestellt. So dass ich mich gefragt habe: „Nimmst Du Dir genug Zeit für die Menschen, die Dir wichtig sind? Oder meinst Du, das sei alles selbstverständlich?“ Wer einmal so glücklich bleiben will wie Hellmut muss etwas dafür tun, muss offen bleiben, muss Liebe geben und nehmen können. Er konnte das. Und das hat noch mit einer anderen Freundschaft zu tun gehabt. Hellmut hat immer von Jesus als seinem „Kumpel“ gesprochen. Auch da im Glauben, der für ihn selbstverständlich war, den er keinem aufgedrängt hat - noch einmal: das Motiv des Freundes. Wir mussten das auch nicht vertiefen. Ihm reichte das Gefühl, die emotionale Gewissheit: Jesus ist mein Freund, und wenn’s drauf ankommt, kann ich mich auf ihn verlassen. Auch für die Frage, was nach dem Tod kommt, hat ihm das gereicht.

Vor vier Wochen habe ich Hellmut beerdigt. Einen Freund zu verlieren, ist schwer. Aber Hellmut hat es seinen Freunden leicht gemacht. Es ist schön zu wissen, wie das geht.

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