Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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In diesem Winter bekam ich einen Brief, den ich mir aufheben werde. Ein besonderer Brief, in dem eine Frau aus dem Norden mir schreibt. Ich hatte sie beim Tod ihrer Mutter begleitet. Am Sterbebett war sie außer sich gewesen: Ihr Bruder hatte es nicht mal jetzt schafft, seinen Groll zu überwinden und zur Mutter zu kommen. Das werde ich ihm nie vergeben, hat sie damals gesagt. Heute schreibt sie: „Sie werden sich wahrscheinlich nicht mehr an mich erinnern. Vor sieben Jahren waren Sie bei uns, als meine Mutter gestorben ist. Sie haben damals gesagt: Man soll nie nie sagen! Sie glauben nicht, was jetzt passiert ist. Mein Bruder hat sich bei mir gemeldet. Er hat wieder Kontakt gesucht. Er ist mittlerweile selber krank, das hat ihn wohl auch verändert. Aber wir können endlich über damals reden. Und ich habe ihm tatsächlich verziehen!“ So schrieb sie. Man soll nie nie sagen.

Jesus hat einmal gesagt: Sieben mal siebzigmal sollt Ihr vergeben. Diese symbolische Zahl heißt eigentlich: Mit dem Vergeben ist es nie zu Ende- da ist immer noch etwas möglich. Es gibt Situationen, da lässt sich das nicht so leicht sagen. Und es gibt Menschen, denen wurde so was Schlimmes angetan, dass es anmaßend wäre zu sagen: Du musst jetzt vergeben! Von außen können wir das nicht befehlen, und unsere inneren Nöte kennt nur Gott. Ich kann nur immer wieder mit beten im Vaterunser: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ In diesem Satz leuchtet für mich immer etwas auf, eine Möglichkeit, die ich selber oft nicht für möglich halte. Jemandem zu vergeben, auf den ich sehr böse bin. Auch mir selber zu vergeben, wo es mir schwer fällt. Und immer wieder neu zu erleben: Gott ist ein vergebender Gott, der - egal, was geschehen ist - immer wieder einen Neuanfang zulässt.

Vergebung kann heilsam sein, auch nach sieben Jahren noch. So hat es die Frau, die mir diesen Brief schrieb, erfahren. Selbst wenn man niemals nie sagen sollte. Ich werde jedenfalls versuchen, diesen Brief niemals wegzuwerfen. Weil er so ein leuchtendes Zeichen dafür ist, dass es immer eine Hoffnung gibt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26011
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