SWR2 Wort zum Tag

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„Heute Morgen gehöre ich keiner besonderen Religion an. Mein Gott ist der Gott der Wanderer. Wenn man lange genug wandert, braucht man wahrscheinlich keinen anderen Gott.“ Das notiert der englische Reiseschriftsteller Bruce Chatwin in dem Buch über seine Reise nach Patagonien.

Ein schöner Gedanke, finde ich. Ich kenne ihn aus vielen biblischen Geschichten. Gott ist der Gott der Wanderer. Er wird unterwegs erfahren. Abraham macht sich mit seiner Sippe auf einen langen und risikoreichen Glaubensweg. Die Israeliten brechen aus der Sklaverei in Ägypten auf und ziehen durch die Wüste. Der Apostel Paulus hat viele Wege zu Wasser und zu Land zurückgelegt, um Menschen von Jesus zu erzählen.

Gehen und nicht Stehenbleiben! Warum das charakteristisch ist für den glaubenden Menschen, hat der katholische Theologe Karl Rahner in einer Meditation über die alltäglichen Dinge beschrieben:

„Wir gehen, und wir sagen durch dieses ganz physische Gehen allein schon, dass wir hier keine bleibende Stätte haben, dass wir auf dem Weg sind, dass wir erst noch wirklich ankommen müssen, noch das Ziel suchen und wirklich Pilger sind, Wanderer zwischen zwei Welten, Menschen im Übergang... Im dem schlichtesten Gehen, das der Gang der Wissenden und Freien ist, ist so das ganze Dasein des Menschen eigentlich schon da und vor sich selbst gebracht, das Dasein, dem der Glaube des Christen sein Ziel enthüllt...“

Der Glaube ist kein Fertigprodukt. Er wird unterwegs geboren. Er ist eher eine Straße als ein Haus. Eher ein Weg als ein Tempel. Seine Bewegung vollzieht sich so, dass ich mich Schritt um Schritt der Wirklichkeit aussetzte. Wahrnehme, was am Wegesrand geschieht. Was mich berührt und anspricht.

Ein solcher Glaube befreit zugleich aus der Angst, bei allem dabei sein zu müssen, nichts verpassen zu dürfen. Er sagt mir: geh ohne Angst vorwärts, setze Schritt vor Schritt! Es geht sich gut mit diesem Vertrauen. Denn wie du im Gehen einen Schritt vor den anderen setzt, so wächst auch dein Glaube. Und langsam enthüllt sich das Ziel vor deinen Augen.

„Heute Morgen gehöre ich keiner Religion an. Mein Gott ist der Gott der Wanderer“, schreibt Bruce Chatwin. So will ich’s versuchen. Und durch diesen Tag und das vor mit liegende Wochenende wandern. Offen, für das, was unterwegs geboren wird. Offen für das, was mir entgegenkommt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=26006
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