SWR2 Wort zum Tag

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Ein Mann steht morgens im Café und beobachtet die Leute auf der Straße. Ihm fällt auf, dass alle etwas mit sich herumschleppen: Möbel, Taschen, Kram, altes Zeug. Sie mühen sich ab und kommen nicht so recht voran. Der Mann wundert sich. Warum machen sie das – wäre es nicht besser, sie hätten nichts von dem Zeug und könnten sich frei bewegen? Die Szene stammt aus dem Kurzfilm Neulich I des Malers und Filmemachers Jochen Kuhn.

Bei der Szene fällt mir auf, wie viel unnötigen Ballast ich so mit mir rumschleppe. Aller möglicher Kram, der sich bei mir angesammelt hat. Ganz konkrete Dinge und Gegenstände, die ich eigentlich nie brauche: alte Lieblingsklamotten, Souvenirs von Reisen und jede Menge ungelesene Bücher.

Viel stärker belasten mich aber einige meiner eigenen Verhaltensweisen. Ich neige zum Beispiel dazu, Dinge zu gut machen zu wollen. Das setzt mich bei der Arbeit und im Privatleben immer wieder unter Druck. Schon im Voraus überlege ich, was andere Leute wohl von mir erwarten und versuche das zu erfüllen.

Irgendwann wird es dann zu viel und ich habe das Gefühl, ich werde niemandem richtig gerecht. Dann stelle ich fest, dass sich etwas ändern muss. Da kommt die Fastenzeit als Zeit der Umkehr gerade recht.

„Umkehren“ kann nach dem biblischen Urtext auch mit „Umdenken“ übersetzt werden. Die Übersetzung gefällt mir, weil ich glaube, dass Umdenken mir hilft. Sicher gibt es Menschen, die etwas von mir erwarten und das auch zu Recht. Aber wenn ich umdenken, stelle ich fest: Oft sind die Erwartungen anderer gar nicht so hoch wie ich meine. Es sind meine eigenen Ansprüche an mich selbst: nur niemanden enttäuschen wollen. Vieles lieber selbst erledigen, weil ich meine: ich kann es eh am besten. Umdenken bedeutet dann: mich selbst nicht so wichtig nehme. Mir selbst zugestehen: ja, ich habe meine Grenzen.

Der Film endet übrigens damit, dass der Mann, nachdem er sich über den Ballast der anderen gewundert hat, zahlt und gehen will. Da hält ihn die Kellnerin zurück. „Ist das da ihre Kiste?“ fragt sie. Erschrocken stellt der Mann fest: „Da hatte ich doch beinah meinen großen Karton vergessen, wo alle meine Papiere drin sind. Tja, ja, da kommt man so ins Grübeln und vergisst darüber beinahe das Wichtigste.“

Wahrscheinlich werde auch ich meinen Koffer mit all meinen überzogenen Erwartungen an mich selbst nie ganz in einer Ecke stehen lassen. Umkehren ist wohl kein einmaliger Wendepunkt, sondern ein ständige Herausforderung und anspruchsvolle Übung. Ich finde die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, sich dieser Herausforderung zu stellen und immer wieder aufs Neue umzudenken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25972
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