Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich habe unserer Flagge nie viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Frage der Nationalität ist für mich bisher nicht so wichtig gewesen. Aber neulich ist mir das Thema ganz neu begegnet.

An meinem zweiten Arbeitstag in der Kaserne war das. Ich habe eine neue Stelle als Militärpfarrer, als Seelsorger unter den Soldaten. Es ist noch dunkel, als ich auf die Einfahrt zurolle. Das Tor ist geschlossen. Vor mir steht noch ein Auto. Der Fahrer steigt aus. Dann hebt er die Hand an die Schläfe zum militärischen Gruß. Da wird mir auch der Grund für die Verzögerung klar: Die Fahne wird gehisst.

Kurz drauf treffe ich den Soldaten, der vor mir stand, bei uns im Gebäude. Er pflaumt mich an: „Zivilisten haben es wohl nicht mehr nötig, auszusteigen.“

Ich stelle mich ihm erst mal als der neue Pfarrer vor. Und dann frage ich ihn, wie ich mich denn verhalten muss. „Motor abstellen und aussteigen.“ Sagt er knapp. Später beim Kaffee erklärt er mir, wieso ihm das so wichtig ist: Bei der Flaggenparade muss er immer an seinen Einsatz in Afghanistan denken. An die Appelle, wenn ein Kamerad gefallen war und verabschiedet wurde.

Am nächsten Morgen beherzige ich seinen Rat. Wieder ist das Tor zu. Ich steige aus. Es ist ganz still. Ich beobachte, wie die Soldaten die Fahne befestigen und langsam nach oben ziehen und wie sie sich im Wind entfaltet. Schwarz, rot, gold.

Meine Gedanken wandern zu den Soldaten, die jetzt im Einsatz sind in Afghanistan, in Mali, im Mittelmeer. Weit weg von zu Hause. Aber sie tragen die gleichen Farben am Ärmel ihrer Feldblusen, T-Shirts und Parkas. Die Flagge verbindet mich mit Ihnen.

Und ich überlege, wofür die Flagge alles steht. Für mich steht sie für unser Land. Für die Menschen. 80 Millionen Geschichten. Ich denke an die Orte, die ich kenne. Ich denke daran, was meine Großeltern durchlitten und geleistet haben. Dass ich in Frieden leben darf, in so einem reichen Land. In diesem Augenblick entfaltet sich in mir ein Gefühl tiefer Dankbarkeit.

Und ich sage zu mir: „Lieber Gott, bitte pass gut auf uns alle auf!“

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