SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Im Petersdom in Rom gibt es eine Besonderheit. Vielen fällt das wahrscheinlich gar nicht auf. Normalerweise würde man über dem Hochaltar einer Kirche ein großes Bild oder ein Kreuz erwarten, im Petersdom ist da aber ein überdimensionierter Stuhl, der von vier Bischöfen getragen wird. Der Stuhl ist leer. Er ist für den heiligen Petrus reserviert. Der leere Stuhl zeigt: Petrus fehlt der Christenheit. Sie wartet darauf, dass er bei der Auferstehung der Toten wiederkommt und darauf sitzen kann. Bis dahin ist er auf eine andere Weise anwesend.

Für mich ist dieser leere Stuhl ein Beispiel dafür, wie ich als Christ mit Trauer umgehen kann. Wenn ein Angehöriger gestorben ist, ist es oft schwer, nach der Beerdigung wieder in den Alltag zurückzufinden. Meine Traurigkeit hat mich behindert, konzentriert zu arbeiten, und ich habe mir gewünscht, dass sie bald aufhört. Und gleichzeitig hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Trauer vergessen hatte. Als ob ich damit auch die Menschen vergessen würde, die mir etwas bedeuten. Ich habe es bei Beerdigungen schon so oft gehört, dass ein Kollege beim Nachruf sagt: „Wir werden dich nie vergessen.“ Und dann gedacht, dass das nicht stimmt, denn das Leben geht weiter und der Alltag holt alle wieder ein.

Es gibt Rituale und Bräuche, die bei uns üblich sind: Zu bestimmten Festtagen an die Toten zu denken, an ihrem Geburtstag oder an dem Datum, an dem sie gestorben sind. Ans Grab von meinen Angehörigen kann ich dann nur manchmal. Und dieser Platz auf dem Friedhof sagt mir oft wenig.

Immer besser gefällt mir stattdessen die Geste, beim Essen einen Platz am Tisch für diesen Menschen frei zu lassen, an den ich denke. Das haben schon die alten Römer so gemacht und die Gräber an solchen Tagen besucht, dort ein Essen veranstaltet und einen Platz für den Toten freigelassen.

Es tut mir gut, auf diese Weise einen Verstorbenen wieder in mein Leben hereinzuholen. Mit dem freien Stuhl führe ich mir vor Augen, dass ich wirklich einen Mangel leide, dass die Person fehlt. Es zeigt, dass der Mensch mir etwas bedeutet. Außerdem erinnern der freie Platz und der gedeckte Tisch an ein biblisches Bild voller Hoffnung: dass wir eines Tages beim ewigen Gastmahl wieder zusammen am Tisch sitzen.

So drücke ich beides aus, dass ich traurig bin und dass ich hoffe: Der Tod kann mich nicht vollständig trennen von den Menschen, die so oder so in meinem Herzen wohnen und für immer einen Platz bei mir haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25932
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