SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Selbst mitten im Vaterunser können  Bruder  Zweifel  und Schwester Frage  auftauchen und massiv unterbrechen. Was tust du eigentlich, wenn du betest? Was soll das Ganze?  Gewiss kann es gut tun, trösten und beruhigen. Aber ist es nicht  doch  nur Wunschdenken  und  Selbstgespräch?  Ja, wir Menschen führen ja ständig innere Dialoge. Da geht einem was durch den Kopf und das Herz, da ist das Hin – und Her der Gedanken  und Bilder. Und immer ist die Frage im Spiel: Wer bin ich – und wenn ja wie viele?  In allem, was wir tun und lassen, sind wir selbst beteiligt und konstruieren mit. Warum nicht auch Beten?  Auch Projizieren  ist eine schöpferische  Tätigkeit. Was wären wir ohne Phantasie und Vorstellungskraft? Ständig sind wir am Entwerfen.  Aber zum  gelingenden Projizieren  braucht es eine Leinwand (oder anderes Material). Die sieht man nicht, aber ohne sie sähe man auch nichts. 

Könnte es  - um schnell und kühn eine Schlussfolgerung zu ziehen – könnte es mit dem Geheimnis, das wir Gott nennen, vergleichbar sein? „Niemand hat Gott je gesehen“ – das ist ein treffender Bibelsatz. Aber durch ihn sehen wir alles in einem neuen Licht. Völlig unbegreiflich ist Gott. Aber er hat sich begreiflich gemacht, er lässt sich sehen – in den Dingen der Welt, in der Natur und vor allem im menschlichen Gesicht. Für Christen  hat er sich in keinem so endgültig gezeigt wie in Jesus dem Christus – und in den geringsten seiner Brüder und Schwestern. Und die sind nun gewiss keine Projektion. Wer im Sinne Jesu  das Vaterunser betet, kann Bruder Zweifel und Schwester Frage herzlich begrüßen: sie gehören zum Beten dazu und dürfen mitmachen.  Derart im Vertrauen auf Gottes Gegenwart zu beten, heißt dann doch, auch mit jedem Zweifel  befreundet zu sein – und über ihn erhaben. Auch den Projektionsverdacht dürfen wir mit ins Gebet nehmen. Je größer das Vertrauen, desto gewisser auch die Erhörung. „Bittet, und glaubt, dass ihr empfangen habt, und ihr werdet empfangen“, lautet deshalb die Empfehlung Jesu.

Und dankbar antwortet der Mensch: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete“. Wohlgemerkt: mein Atem, was gäbe es – fernab jeder Projektion - Intimeres?

 

 

 

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