SWR2 Wort zum Tag
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„Not lehrt beten“, sagt der Volksmund. Ein Schicksalsschlag, eine unheilbare Krankheit, ein schier unlösbares Problem oder eine bittere Niederlage: wohin mit all solcher Not? Da helfen normale Trostadressen oft nicht. Natürlich ein gutes Wort, ein lieber Freund oder eine treue Gefährtin, vielleicht auch ein seelsorgliches oder beraterisches Gespräch. Aber manches haut einen derart um, dass es höhere Instanzen bräuchte! Wohin also mit unserer Not ? Dietrich Bonhoeffer dichtete im Gefängnis: „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, / flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, / um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. / So tun sie alle, Christen und Heiden.“
Aber nicht nur die Not lehrt beten, auch das Glück, das überraschend Schöne und hinreißend Geliebte. Womit habe ich das verdient, gerade ich, fragen wir dann. Das darf doch nicht wahr sein, absolut nicht zu fassen. Elias Canetti, ein großer deutsch-jüdischer Denker, meinte - offenkundig aus eigener Erfahrung - : Die größte Not des Atheisten ist es, dass er nicht weiß, wohin mit seinem Dank… Bitten und Danken, Klagen und Jubeln – sie erwachsen aus derselben Situation und Erfahrung. Da ist etwas zu groß für uns, es übersteigt unsere Möglichkeiten und Vorstellungen, es sprengt alle Rahmen, es überwältig und ergreift uns.
So ist von Gott die Rede, jedenfalls vom Göttlichen, von einer höheren anderen Welt. Dahin will alles adressiert sein, das Schöne und das Schreckliche, die Liebe und das Unglück. Ohne Bitten und Danken wird das Zusammenleben spannungslos und langweilig, das ist schon unter uns Menschen so. Erst recht dort, wo Gott ausdrücklich ins Spiel kommt – eben im Unfassbaren des Glücks und des Elends. Da tut es gut, zu beten - und es ist zu höchst menschlich.
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