SWR3 Gedanken

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„Meine Lieblingstante“, ruft mein Patenkind entzückt, als ich in der Haustür stehe. Ich fühle mich erfreut und geschmeichelt. Bis ich das Gesicht der anderen Patentante sehe, die im Hintergrund steht und ein wenig betreten dreinschaut. Fast entschuldigend zucke ich mit den Achseln, während sie etwas unsicher meint: „Na, so sind Kinder halt.“

Ja, so sind Kinder halt. Sie streuen ihre Gunst nicht gleichmäßig unter die Menschheit, sondern sie machen Unterschiede. Ziehen den einen dem anderen vor, nach welchen Gesichtspunkten auch immer. Und machen noch nicht einmal ein Hehl daraus. Lauthals haben sie den Papa lieber als die Mama, freimütig wird der eine zum Freund erklärt und der andere nicht. Kindern sieht man das nach. Weil Kinder halt so sind.

Bei Erwachsenen sieht das schon anders aus. Ich denke an Jakob, dessen Geschichte im Alten Testament steht. Seine Mutter hatte ihn lieber als seinen Bruder Esau. Und was dabei herauskam, war fast ein Brudermord. Jakob wurde älter, hatte selber Kinder. Und wusste es nicht besser. Hatte seinen Sohn Josef lieber als seine anderen Söhne. Und was dabei herauskam, war schon wieder fast ein Brudermord.

Am Ende gehen beide Geschichten gut aus. Auf dem Sterbebett gibt Jakob allen Söhnen seinen Segen, seine guten Wünsche für ihre Zukunft. Am Ende hatte er verstanden: Es tut nicht gut, so offensichtliche Unterschiede zu machen. Es ist schmerzhaft und stiftet Unfrieden.

Und damit hat er recht: Natürlich sind mir nicht alle Menschen gleich sympathisch. Das ist nun einmal so. Aber ich kann mich entscheiden, ob ich sie das spüren lasse. Ich kann mich auch um einen fairen Umgang bemühen. Denn gute Nachbarschaft, Friede in der Familie, eine funktionierende Gesellschaft – all das ist dann einfach leichter.

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