SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Seine linke Hand liegt unter meinem Kopf und mit seiner rechten verwöhnt er mich“ – singt sie. Das Zitat stammt aus einem uralten Liebeslied aus der Bibel.

„Seine linke Hand liegt unter meinem Kopf und mit seiner rechten verwöhnt er mich“. Immer wieder singt die unbekannte Frau diese Zeile. Wie ein Refrain zieht es sich durch ihr Lied. Wie ja eben auch die Gelegenheiten, sich zu lieben, vielfältig sind: im Frühling unter blühenden Bäumen, im Sommer auf dem Feld, im Herbst zwischen den Weinstöcken – und im Winter?

Selbstverständlich hält die Liebe keinen Winterschlaf. In der kalten Jahreszeit ziehen sich die Liebenden in eine Herberge zurück. Romantisch erzählt die Sängerin davon, wie sich die beiden eine Kammer für ihre Liebe genommen haben. Am Fenster sind Girlanden aufgehängt, die bedeuten: „Bitte nicht stören!“

Doch bevor es zur erotischen Vereinigung kommt, stärken sich beide mit Gewürzkuchen und Wein. Das soll ihre unbändige Lust noch steigern. Das Verlangen, das sie ohnehin schon verzehrt, noch ins schier Unerträgliche vergrößern. Lange haben sie sich nicht gesehen. Die Zeit der Enthaltsamkeit hat sie hungrig gemacht. Hungrig aufeinander, hungrig auf den Liebesgenuss.

Über zweitausend Jahre alt ist dieses Lied. Nachzulesen in der Bibel, im „Hohelied“. Und wie in jeder guten Liebeslyrik wird die Liebe hier nicht gleich mit moralischen Leitplanken versehen, sondern einfach als Lebenskraft gefeiert und besungen. Sie ist das größte Geschenk, das Gott den Menschen machen konnte. So wird es jedenfalls hier gesehen.

Wenn Gott das Leben ist, dann doch wohl auch die Quelle der Liebe – in allen Farben, wie wir sie empfinden: als Zuneigung, als Zärtlichkeit, als Leidenschaft, als Verlangen, als Glücksgefühl, als Befriedigung. Warum eigentlich nicht? Und eigenartig, was daraus geworden ist. Manche hätten das Hohelied am liebsten aus der Bibel gestrichen – wohl deshalb, weil es so freizügig ist.

„Seine linke Hand liegt unter meinem Kopf und mit seiner rechten verwöhnt er mich“, höre ich – und weiter: „Stört uns nicht, ihr neugierigen Mädchen von Jerusalem. Denkt daran, was für scheue Tiere Rehe und Gazellen sind. So ist es mit der Liebe auch. Wenn ihr sie aufschreckt, ist sie verschwunden. Haltet ihr lieber die Hand hin und füttert sie!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25749
weiterlesen...