SWR2 Wort zum Tag

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Von Heiner Geißler ist nach seinem Tod ein kleines Buch erschienen. Ein zorniges. Aufwühlendes. „Kann man noch Christ sein, wenn man an Gott zweifeln muss?“ ist der Titel.

Dabei ist der Titel vorsichtiger formuliert als der Inhalt. Denn Geißler geht mit der Schärfe, die man von ihm zeitlebens gekannt hat, auf das theologische Denken - wie er sagt - „der Kirchen“ los. Keine Altersmilde.

Geißler klagt uns Kirchen an für das Gottesbild, das wir verkündigen. Wenn ich ihn recht verstehe, sieht er sich dabei als Anwalt aller Menschen, die leiden. Es plagt ihn, dass Menschen gefoltert werden, hungern, dass es Kriege gibt, Flucht, Katastrophen und Krankheiten. „Wie passt das alles zusammen damit, dass Gott allmächtig, gütig und barmherzig sein soll?“ klagt er.

Was ich daran aufregend finde. Es hat ihn nicht resignieren lassen oder abstumpfen. Es hat ihn vielmehr in „heiligen Zorn“ versetzt.

Ja, mancher der Vorwürfe und Behauptungen gegen die Theologie sind sehr holzschnittartig. Und manchmal kann man das Gefühl haben, was für Heiner Geißler nicht logisch war, das konnte nicht richtig sein.

Trotzdem, er fordert mich heraus, meinen Glauben und wie ich lebe. Immer wieder habe ich beim Lesen denken müssen: Lasse ich mein Gewissen einschläfern trotz der eklatanten Ungerechtigkeiten in unserer Welt?

Das lässt er mir als Leser nicht durchgehen. Schläfriges Gewissen, nein. Er versucht, es zu schärfen. Ich glaube, darin hat er recht über seinen Tod hinaus.

Und beeindruckt hat mich seine Antwort seine Titelfrage: „Kann man noch Christ sein, wenn man an Gott zweifeln muss?“ Unbedingt, ist seine Antwort. Allerdings so, dass man sich radikal an Jesus von Nazareth orientiert. Wie er gelebt und geglaubt hat:

Jesus spricht Menschen eine unantastbare Würde zu, die in Gott gründet. „Jesus, als Helfer der Armen, als Freund verstoßener Frauen, als Diener, der anderen die Füße wäscht, als Helfer der Behinderten oder als Verbrecher, der nichts verbrochen am Kreuz. Ihm können wir glauben.“(S.75)

Das überzeugt mich. Aber an dieser Stelle glaube ich anders als Heiner Geißler. Für ihn scheint Jesus nichts als Mensch. Ich sehe in Jesus den Menschen und das Gesicht Gottes. Ich glaube, dass Gott wie Jesus ist. Wenn ich Jesus glaube, wie Heiner Geißler ihn beschrieben hat, dann glaube ich an Gott. Der an der Seite von Menschen die Welt erneuert. Das schafft nicht aus der Welt, dass unsere Welt unvollkommen ist. Und es erklärt es nicht. Aber es hilft vielleicht, auszuhalten, wach zu bleiben und zu bessern. Was so unvollkommen ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25675
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