Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Zwischen den Jahren werde ich immer ein bisschen komisch melancholisch. Weil da so viele Erinnerungen hochkommen. Ich denke gerne an das Leben im Dorf meiner Kindheit zurück. Ich vermisse diese richtig kalten Winter mit den Bergen von Schnee. Damals habe ich tatsächlich geglaubt, dass die Zeit doch angehalten werden kann.

Der Frost und der Schnee waren so dermaßen bestimmend und unüberwindbar, sodass das Leben zwangsläufig stehen blieb. Weil nichts mehr ging, und schon gar nichts fuhr, weil  alles dicht und im Winterschlaf dornrößchenmäßig  stillgestanden ist.

Und dazu fallen mir ganz bestimmte Kleinigkeiten ein:
Die Bettflaschen zum Beispiel, die ich abends mit kochend heißem Wasser füllte, um sie in die Betten zu verteilen. Die Eisblumen  an den Scheiben unseres Schlafzimmers. Der eingefrorene  Atem morgens auf der Bettdecke. Wirklich wahr!

Ich sehe mich nach dem Schlittenfahren vor dem Küchenherd sitzen und die verfrorenen Füße in den Backofen strecken.

Und mir fällt unsere Nachbarsfrau ein, der ich das frisch gefüllte Milchkännchen brachte. Da saß sie im stockdunklen Haus vor dem offenen Ofentürchen, weil sie Strom sparen und kein elektrisches Licht anmachen wollte.

Wie eine göttlich verordnete Betriebsruhe kam mir das damals vor. Endlich war mal nichts, was zu Hetze und Lärm antrieb. Es ist mir wie ein Zauber in Erinnerung, obwohl es natürlich nicht nur zauberhaft gewesen ist. Trotzdem wünsche ich mir in diesen Tagen dieses verlorene Phänomen der angehaltenen Zeit zurück.

Zwischen den Jahren, Auszeit für die Seele, schöpfungsbedingte schöpferische Pause-davon müsste doch etwas herüber zu retten sein, hier und heute. Das ist nicht nur Schnee von Gestern.

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