SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Bei einem Freund von mir hängt im Bad ein ziemlich witziges kleines Kunstwerk. Genau das richtige für Tage, an denen man morgens gar nicht so recht in den Spiegel schauen möchte. In einem goldenen Bilderrahmen hinter Glas klebt ein zerknittertes Stück Zeitungspapier. Darunter steht: „Wer morgens zerknittert ist, kann sich tagsüber besser entfalten.“

Der Satz soll von Heinz Rühmann stammen. Ich kann förmlich seine Augen zwinkern sehen. An Tagen, wo ich morgens in den Spiegel schaue und am liebsten gleich wieder ins Bett gehe, da kann mir der Satz ein bisschen Mut machen, oder mich über mein Aussehen hinwegtrösten. Ob die Aussage des Satzes allerdings zutrifft, da bin ich mir nicht so sicher. Wenn ich morgens zerknittert bin, dann muss der Tag noch lang nicht super werden.

Aber vielleicht hat der Satz ja etwas, wenn ich ihn auf mein ganzes Leben beziehe. Psychologen haben herausgefunden, dass es ein Grundbedürfnis der Menschen ist, sich selbst zu entfalten.  Dieses Bedürfnis steht an der Spitze der so genannten „Bedürfnis-Pyramide“. Der Grundstein dieser Pyramide ist das Bedürfnis, etwas zu essen und zu trinken zu haben. Wenn das gedeckt ist, dann heißt das nächste, ein Dach über dem Kopf zu haben und beschützt und sicher leben zu können. Es folgt der Wunsch, Menschen um sich herum zu haben, Familie oder Freunde, in Beziehung treten zu können, sich auszutauschen. Und schließlich, wenn das alles geregelt ist, dann steht an der Spitze der Pyramide der Drang, sich selbst verwirklichen zu können, sich zu entfalten.

Sich entfalten - das heißt für mich, etwas aus mir und meinem Leben zu machen. Herausfinden, was ich gut kann, wo meine Stärken liegen. Und das dann auch einsetzen – vielleicht sogar für andere oder für das Gemeinwohl. Mich entfalten - das heißt, aufmerksam für mich selbst zu sein: Wo möchte ich hin? Was möchte ich noch lernen? Welche Haltungen und Werte sind mir wichtig? Sich entfalten heißt doch eigentlich, immer mehr zu dem zu werden, der ich eigentlich sein könnte. Nämlich nicht klein, eingeengt und zerknittert, sondern groß, frei und entfaltet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25534
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