SWR2 Wort zum Tag

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Sich auf einen Kompromiss einzulassen, ist schwer. Die Versuche zur Regierungsbildung in den letzten Wochen haben das deutlich gezeigt. Aber auch im privaten oder beruflichen Alltag stehe ich immer wieder vor dieser Herausforderung: Wie weit kann ich anderen entgegenkommen, ohne meine eigene Position völlig aufzugeben oder ständig den Kürzeren zu ziehen.

In der Bibel, besonders im Alten Testament, gibt es viele Geschichten, die von der Suche nach Kompromissen und der Versöhnung zwischen Gegnern handeln. Besonders eindrücklich sind diese Geschichten, weil die Protagonisten oft ausgesprochene Alphatiere sind. Da ist Abraham: Er löst den Streit mit seinem Neffen Lot um Weideland. Er teilt das Land und lässt Lot wählen, welchen Teil dieser möchte – wohl wissend, dass ihm der schlechtere bleiben wird. Oder Jakob: Er kommt seinem Bruder Esau nach Jahren von erbittertem Streit und Trennung im wahrsten Sinne des Wortes mit Geschenken entgegen. Leicht fällt den beiden Patriarchen das sicher nicht. Aber sie haben Erfolg – die Konflikte werden beigelegt.

Auf einen Anspruch verzichten, dem anderen entgegenkommen um des Friedens willen: Jesus hat das von seinen Anhängern ganz explizit gefordert – und noch einmal kräftig zugespitzt: Wenn dich einer zwingen will, eine Meile mit ihm zu gehen, dann geh zwei mit ihm! (Matthäus 5,41)

Zugegeben, die berühmten Worte aus der Bergpredigt sind radikal – und werfen Fragen auf: Ist es wirklich sinnvoll, so weit zu gehen? Von einem Kompromiss, einem Ausgleich der Interessen kann ja hier nicht mehr die Rede zu sein.

Ich glaube, Jesus konnte das so fordern, weil er gleichzeitig etwas anderes getan hat: Er hat die Menschen, denen er begegnet ist, gestärkt und sie gelehrt, erhobenen Hauptes durchs Leben zu gehen. Er wusste: Wer verstanden hat, dass der Wert seines Lebens nicht davon abhängt, den eigenen Standpunkt durchzusetzen, der hat keine Angst mehr, sich selbst zu verlieren. Und kann seinem Gegner oft überraschend weit entgegenkommen. Und gerade dieser Überraschungseffekt kann sehr nützlich sein, wenn es darum geht, Konflikte beizulegen und gemeinsam weiterzukommen.

Mir sind die Worte Jesu auf jeden Fall ein Ansporn, immer wieder auszuloten, wie weit ich mich in Auseinandersetzungen bewegen kann – vielleicht auch auf überraschende Weise. Denn ich glaube – mich selbst verlieren kann ich dabei nicht, auch wenn ich den Kürzere ziehe. Vielleicht gelingt das ja auch in der Politik bald wieder besser mit den Kompromissen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25458
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