SWR2 Wort zum Tag

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Neulich ist es mir wieder passiert: Das slawische Kirchenlied, das die Mutter mit dem Kleinkind in der Fußgängerzone gesummt hat, hat mich angerührt. So sehr, dass ich ihr Geld ins Kästchen geworfen habe. Obwohl ich es eigentlich besser weiß: Dass meine Spende die Lebenssituation der beiden wohl nicht verbessern wird. Und dass vermutlich andere davon profitieren.

Trotzdem passiert mir das manchmal. Dass ich mich spontan von meinem Mitgefühl leiten lasse. Jetzt in der Adventszeit scheint das auch anderen so zu gehen – um Weihnachten herum sind Gefühle gefragt. Dabei habe ich eigentlich – wie Sie vermutlich auch – gelernt, beim Helfen nicht nur mein Gefühl, sondern auch meinen Verstand zu befragen: Wie viel Geld oder Zeit kann ich erübrigen? Kommt das, was ich geben kann, sinnvoll an?

Und auch jenseits von Spenden und Hilfsprojekten habe ich verstanden, dass es manchmal gut sein kann, nicht gleich zu Hilfe zu eilen: Kinder zum Beispiel erst einmal selbst probieren lassen, auch wenn es vielleicht schiefgeht. Oder auch nicht sofort einzugreifen, wenn ein Baby vor dem Einschlafen noch weint – vielleicht lernt es ja, sich selbst zu beruhigen.

Aber oft fällt mir der rationale Umgang mit der Bedürftigkeit anderer tatsächlich schwer. Da rührt mich klagende Lied der Mutter im Innersten an. Oder mir geht das Babyweinen so durch Mark und Bein, dass ich nicht abwarten kann. Die Ursprachen der Bibel kennen Worte, die das sehr bildhaft beschreiben: Es geht durch die Eingeweide, heißt es im Griechischen. Und das hebräische Wort der Bibel für Mitleid oder Erbarmen hat dieselbe Wurzel wie Mutterleib – wie der Ort, von dem wir alle herkommen.

Das zeigt mir: Mit einem anderen Menschen mitzufühlen, sich emotional anrühren zu lassen, das ist etwas zutiefst Menschliches. Und deshalb glaube ich auch: Es ist gut, dieses „Bauchgefühl“ nicht zu unterdrücken, sondern es ernst zu nehmen. Sich nicht hart zu machen, weil ich sowieso nicht allen helfen kann, sondern empfindlich zu bleiben für die Not anderer.

Was daraus folgt, was ich konkret tun soll – das ist meist mit rationalem Nachdenken besser zu beantworten. Der Wunsch zu helfen aber, der erwächst oft aus dem Bauch heraus – denn Mitleid hat mit dem Mutterleib zu tun. Deshalb ist es gut, dass es die Adventszeit gibt, in der viele Menschen gefühlvoller unterwegs sind als sonst. Und es ist gut, dass es dieses Bauchgefühl gibt, das mich daran erinnert, dass auch ich selbst – wie wir alle – mal ganz und gar auf Hilfe angewiesen war.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25457
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