SWR4 Abendgedanken

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Manche Schmerzen gehen dadurch weg, dass man sie mit den Händen berührt, dass man draufdrückt. Jedenfalls stimmt das bei körperlichen Schmerzen. Das habe ich von meiner Physiotherapeutin gelernt. Wochenlang hatte ich mit Rückenschmerzen zu tun. Meine Therapeutin hat mit dem Finger auf die Schmerzpunkte gedrückt. Im ersten Moment hat es sich an der Stelle schlimmer angefühlt. Aber schon nach wenigen Momenten habe ich gemerkt, dass sich etwas verändert. Die Stelle wurde besser durchblutet. Der Schmerz ist weggegangen.

Mir kommt in den Sinn, dass es auch im menschlichen Miteinander solche Schmerzpunkte gibt. Stellen, an denen sich etwas verhärtet hat. Ich denke an Ludwig, der als junger Mann hatte Matrose werden wollen. Er hatte schon die Fahrkarte, um nach Hamburg zu fahren und bei der Marine anzufangen. Und dann bekam er eine schlimme Krankheit und konnte die Ausbildung nicht machen. Auch danach nicht mehr, als seine Krankheit überstanden war. Ludwig hat dann eine Lehre in der Verwaltung gemacht. Er hat geheiratet. Die beiden haben Kinder bekommen und Enkel. Aber Ludwig war sein Leben lang ein unglücklicher Mensch. Noch nach Jahrzehnten ist es ein wunder Punkt in seinem Leben gewesen, dass sein Kindheitstraum nicht in Erfüllung gegangen ist. Wie gern wäre er zur See gefahren! Man durfte Ludwig aber nicht darauf ansprechen. Dann wurde er richtig zornig. Die Stelle auf seiner Seele hat immer noch weh getan.

In der Bibel gibt es ein Lied, einen Psalm, da heißt es: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ Das Lied handelt davon, dass ein Mensch in seinem Leben viel Schmerzliches erlebt. Aber er vergräbt den Schmerz nicht in seiner Seele oder in seinen verhärteten Muskeln und Beziehungen. Er schafft es, sich in Gottes Hand zu geben. Er klagt Gott sein Leid. Er betet. Vielleicht tut es im ersten Moment sogar noch mehr weh, wenn man den Kummer vor Gott bringt. Am Ende seines Liedes aber singt der Psalmbeter davon, dass er getröstet ist und keine Angst mehr hat. Das wünsche ich Ludwig und allen, die solche harten Stellen auf der Seele und in ihrer Lebensgeschichte haben: Dass sie sich Gottes Händen anvertrauen können mit dem Gebet:  Gott, du siehst, wie es mir geht. Meine Zeit steht in deinen Händen (Ps 31,16a).

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