Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Armes kleines Blättlein, hast ja gar kein Bettlein, musst durch düstre Gassen vom Wind dich treiben lassen.“ Mein Vater hat uns dieses Lied beigebracht als wir Kinder waren.
Jetzt im November muss ich öfter dran denken, an das arme kleine Blättlein, das der Wind so vor sich hertreibt.
Und denke dabei an meinen Vater, der als junger Mann wie ein Blättlein über die Meere der Welt getrieben wurde. Als seine Mutter gestorben war, hat er sich zur Marine gemeldet. Wollte sein Glück in der Fremde suchen. Aber dann kam der Krieg und er geriet in schlimme Geschichten. Das Gefühl von Freiheit schlug bald in ein Gefühl von Verlorenheit um. Und dieses Verlorenheitsgefühl ist er nie mehr richtig losgeworden. Wie viele Männer, die wir er den Krieg in der Fremde erlebt haben.
Ich sehe sie in der Geschichte vom verlorenen Sohn, die Jesus erzählt hat. Da geht auch ein junger Mann voller Tatendrang in die Fremde, um sein Glück zu machen. Aber dann trifft er die falschen Freunde, trifft falsche Entscheidungen und hat einfach Pech. Eine Weile gibt er sich dem Gefühl der Verlorenheit hin und verzehrt sich in Selbstmitleid.
Aber dann erinnert er sich daran, dass er ja noch einen Vater hat. Obwohl er nicht mehr der Junge ist, der er mal war, geht er zurück. Nein, jetzt kann er nicht mehr auf den Schoß seines Vaters kriechen wie ein Junge. Er hat ja versagt. Und mit dem letzten Rest von Selbstachtung versucht er, dafür Verantwortung zu übernehmen. Deshalb will er ihn um einen Idiotenjob bitten. Er will alles tun, nur nicht mehr weiterleben in dieser Verlorenheit.
Das ganz und gar Erstaunliche aber ist: als der Vater ihn sieht, rennt er. Er rennt ihm entgegen. Versucht gar nicht, dem Sohn sein Versagen auszureden, sondern tut was dagegen.
Gibt ihm was Frisches zum Anziehen, gutes Essen, feiert für ihn ein Fest. Kurzum: Er gibt ihm seine Würde zurück- sichtbar für alle anderen.
Warum tut er das alles? Einfach aus Liebe. Sagt Jesus. Nicht einfach zu glauben, wenn man so einen irdischen Vater nie gehabt hat. Und trotzdem: Gott ist wie ein Vater, der dir entgegen rennt aus Liebe.
Musst dich nicht wie armes kleines Blättlein durch die Gassen treiben lassen. Darfst zu ihm nach Hause kommen. Wo es warm ist und der Tisch schon gedeckt ist für dich. Das ist die Zukunft, der du entgegengehst.
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