SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Es ist jeden Herbst dasselbe, wenn die Grippewelle losgeht. Ich beobachte es bei meinen Kollegen genauso wie bei den Schülern. Die Nase läuft und der Hals kratzt, die Konzentration lässt nach, die Glieder schmerzen und ich bin nur noch müde. Ich habe mich also wieder mal irgendwo angesteckt. Und mein Körper zeigt deutlich, was er jetzt braucht. Ruhe und Schlaf. Aber die Betroffenen quälen sich durch den Tag und versuchen zu funktionieren. Die Arbeit ist jetzt wichtiger. Auch wenn das Ergebnis nicht so gut ist wie sonst. Und auch auf die Gefahr hin, dass man andere ansteckt. Und jeder weiß, dass es nur länger dauert, je länger ich dem Körper nicht das gebe, was er jetzt braucht.

Bis ich zum Arzt gehe, mir eingestehe, dass ich nicht zur Arbeit kann, vergeht manchmal eine ganze Woche. Und selbst dann fällt es mir noch schwer, dass ich mich krankmelde und zuhause bleibe. Als ob ich unersetzlich wäre.

Aber ich finde, da stimmt doch etwas nicht. Es betrifft doch die Frage, wie ich mit mir und den anderen umgehe. Und es hilft doch wirklich niemandem, wenn ich richtig krank werde und in der Zeit bis dahin noch möglichst viele anstecke. Wenn ich die Arbeit wichtiger nehme als die Gesundheit, dann ist in meinen Augen was mit meiner Einstellung nicht richtig.

Klar, Arbeit gibt meinem Leben einen Sinn. Weil ich als Lehrer mein Wissen an andere weitergebe, für sie da bin, wenn sie Sorgen haben und mit Kollegen zusammenarbeite. Aber wenn meine Gesundheit angegriffen ist, dann sind das Leben und die Gesundheit wichtiger. Ich arbeite gerne, aber ich bin ja nicht der Sklave meiner Arbeit. Ich denke, dass der Mensch nicht für die Arbeit da ist. Sondern die Arbeit ist für den Menschen da. Gerade weil ich überzeugt bin, dass der Mensch mehr zählt als die Arbeit.

Und weil ich als Christ den Nächsten wie mich selbst lieben soll, heißt das für mich eben beides: Wenn mir das wirklich wichtig ist, dann muss ich doch versuchen, die anderen nicht anzustecken und mich von ihnen fern zu halten. Und dieses „Wie mich selbst“ schließt eben ein, dass ich gut mit mir selbst umgehe. Auch wenn es mich Überwindung kostet, weil ich scheinbar nicht im vollen Lauf stoppen kann. Mir hilft es dann, wenn ich die Grippe wie eine Generalüberholung sehe. Mein Immunsystem muss da in regelmäßigen Abständen durch.

In meiner Schule bricht der Alltag nicht zusammen, wenn ich mich zuhause auskuriere. Also: wenn ich für mich sorge, dass ich wieder fit werde, dann hilft das allen. Ich bin dann nicht matschig und halblebig mit dabei, sondern mit meiner ganzen Kraft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25334
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