Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Heute ist es also soweit. Jubiläums-Reformationstag. Gesetzlicher Feiertag. Staatsakte. Feste, Konzerte,  Gottesdienste landauf und landab. Alle feiern mit, die einen mehr, die anderen weniger. Das sah vor 500 Jahren noch ganz anders aus. Damals war Alltag. Damals schlug der Theologieprofessor Martin Luther seine Thesen in Wittenberg an die Kirchentür. Damals hat er zur akademischen Diskussion eingeladen. Das war nicht sehr gefährlich oder mutig. Höchstens mit dem Hammer auf den Daumen hätte er sich dabei hauen können.

Viel, sehr viel gefährlicher und mutiger war das andere, was Martin Luther am 31. Oktober 1517 gemacht hat: er hat einen Brief nach Mainz geschrieben. Einen Brief mit seinen 95 Thesen, adressiert an Albrecht von Brandenburg, Kardinalerzbischof, Kurfürst und Erzkanzler des Heiligen Römischen Reichs. So einen Brief zu schreiben konnte böse enden. Luther wäre nicht der erste Kirchenkritiker gewesen, den man zum Schweigen gebracht oder sogar hingerichtet hätte. Hinzu kam: er war nur einer – und die anderen waren viele. Keine große evangelische Kirche stand an seiner Seite.  Wie einfach, wie verführerisch wäre es deshalb gewesen, wenn Luther gesagt hätte: „Lasst mir doch die Ruh‘! Ich weiß, was richtig ist, und damit muss es genug sein. Scherereien brauche ich nicht.“

Doch Luther entschied sich anders: Weil es sonst mit seiner inneren Ruhe vorbei gewesen wäre. Luther musste seinem Gewissen folgen. Und das sagte ihm: wenn etwas nicht in Ordnung ist, dann sprich es an! Finde die richtigen Worte, werde ein „Wortefinder“. Und dann sprich diese Worte um Gottes und der Menschen willen auch aus! Das mag gefährlich sein – aber du selber gehst aufrechter, gewinnst Respekt vor dir und kannst guten Gewissens in den Spiegel schauen.

Daran sich heute zu erinnern finde ich aller Ehren wert.  Wo doch so viele nur ihre Ruhe haben wollen. Weil alles so kompliziert ist. Weil Harmonie ganz oben ansteht. Nein:  vom Streit in der Familie über die Auseinandersetzungen im Kommunalparlament bis zu den Konflikten um die Zukunft unserer Erde. Wir brauchen streitbare Menschen. Wortefinder, die ihrem Gewissen folgen und sich was trauen. Und die auch vor hammerharten Thesen nicht zurückschrecken. Das ist Reformation.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25274
weiterlesen...