SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Der Tod ist aus dem Leben verschwunden. Sicher: Sterben muss jeder Mensch. Aber in der Öffentlichkeit spielt er praktisch keine Rolle. Gestorben wird vor allem in Krankenhäusern und Hospizen. Hinter verschlossenen Türen. Und wenn auf der Autobahn jemand zu Tode kommt, dann zücken zwar viele ihre Handys. Aber damit sorgen sie nur dafür, dass ihnen der Tod nicht nahe kommt. Das Handy hält sie auf Abstand.

Deswegen sind die Momente ungewöhnlich, an denen der Tod plötzlich in den Alltag einbricht. Ich habe das vor wenigen Tagen an meinem Arbeitsplatz erlebt. Es ist die erste Sitzung nach den Sommerferien. Mein Kollege sagte: „Zuerst muss ich euch eine traurige Mitteilung machen. In den letzten Wochen sind drei Kollegen verstorben.“ Und er erinnert an die drei. Den schon lange pensionierten Professor, an die junge Mitarbeiterin, die erst gerade anfangen sollte, den dritten Namen kriege ich da schon gar nicht mehr richtig mit. Weil meine eigenen Erinnerung an Menschen hochkommt, die ich verloren habe.

Dann hält unsere Sitzung für wenige Augenblick tatsächlich den Atem an. Es wird still. Kein Husten, kein Räuspern, einfach nur Stille. Durch die Fenster klingt das Geräusch einer Kreissäge. Gegenüber wird ein Dach neu gedeckt. Etwas leiser sind Wortfetzen zu hören. Und Verkehr.

Dann ist dieser heilige Augenblick vorbei – und es geht mit der Sitzung weiter. Wer einen Nachruf verfasst und welche Tageordnungspunkte noch anstehen.

Mich hat dieser gemeinsame Moment der Stille bewegt. Er macht deutlich: Leben besteht aus mehr als Planen und Organisieren und Diskutieren. Leben braucht auch das Innehalten. Den Augenblick der Ruhe und der Nachdenklichkeit.

Stille werden, Innehalten, das gehört für viele Religionen zum Standardrepertoire der Spiritualität. Wer still wird, der kann besser hören. Auf das Leben und den Tod. Wer innehält, der wird aufmerksam für all das, was sonst schnell überspielt wird. Etwa, dass wir alle sterblich sind. Dass unsere Zeit begrenzt ist.

Ein solches Innehalten bringt dann auch den Tod dorthin zurück, wo er hingehört: ins Leben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25261
weiterlesen...