SWR2 Wort zum Tag

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„Ich bin frei.“ Das ist mir der wichtigste Ertrag aus dem Reformationsjahr 2017. „Ich bin frei, als Christ und Mensch.“
Das scheint mir das Wichtigste von Martin Luther für heute und es weist in die Zukunft. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. In dieser kleinen Schrift steckt für mich das Beste und Radikalste, was er gedacht, geschrieben und gelebt hat. „Ich bin frei“, das zu leben ist anspruchsvoll. Freiheit in Luthers Sinn, ist mehr als eine lapidare „Ich kann tun und lassen was ich will- Freiheit.“ So eine Freiheit ist nicht billig, sie ist kostbar. Wie Demokratie. Ich lebe sie nicht, indem ich frei konsumiere. Freiheit umfasst mich ganz. Christliche Freiheit ist anspruchsvoll. Wenn ich meine, Freiheit wäre billig, käuflich oder bequem, dann habe ich sie vermutlich schon zur Libertinage deformiert.

„Ich bin frei.“ Das kommt von innen, aber es ist nicht nur für mich. Frei bin ich für andere. Für Menschen in meiner Nähe, Ferne und Fremde. Diese Dialektik hat Luther eingeschärft. Klingt theoretisch? Ich versuche ein Beispiel: Ich glaube, heute ist Askese eine Form von Freiheit für die Zukunft und für andere Menschen. „Askese, oh Gott“, denken Sie vielleicht. „Soll mir das Leben und der Genuss mal wieder madig gemacht werden?“

Ich meine: es ist gerade umgekehrt. Leben und Genuss kommen erst zur Entfaltung, wenn ich so frei bin, dass ich verzichten kann. -- Wo könnten Stellen sein, an denen ich unfrei bin? ZB. dort wo Bedürfnisse in Begehren umgeschlagen sind. Ich glaube, mit dieser Unterscheidung kann man prüfen, wo auch unsere Gesellschaft deformiert frei ist. Wo und was begehren wir über die Maßen? Zu Lasten von anderen Menschen und denen, die auch in der Zukunft gut leben wollen.

Was unterscheidet Bedürfnis und Begehren? Bedürfnisse kann man stillen. Durst wird gelöscht, wenn ich Wasser trinke. Begehren lässt sich nicht stillen, es wird stärker und wuchert nach, indem man ihm nachgibt. Begehren wird darum befeuert durch Werbung. Eine kleine Stelle, an der ich begehrgefährdet bin und unfrei.

Wahrscheinlich haben Sie auch welche. Ich fotografiere gern. Aber es bräuchte nicht so oft eine neue, angeblich bessere Kamera. Indem ich so kaufe, folge ich dem Begehren, nicht dem Bedürfnis. Solche kleinen und viele weit größere Stellen. Da ist Askese Freiheit. Sie kommt von innen. Wenn mein Selbstwert nicht mehr am Haben hängt. Solche Freiheit nützt dann anderen. Ich glaube, sie ist notwendig, wenn wir als westliche Gesellschaft anderen Menschen nicht mehr schaden wollen. „Ich bin frei.“ So gesehen weist Martin Luther in gute Zukunft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25234
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