SWR3 Gedanken

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»Es begab sich aber zu der Zeit...« III
Gehören Sie auch zu den Weihnachtsflüchtlingen? Ich meine: können Sie auch nichts anfangen mit den vielen Heile-Welt-Krippenspielen, die man überall in der Werbung und in den Schaufenstern zu sehen kriegt: Vater, Mutter, Kind – die „Heilige Familie“, Ochs und Esel, ein Engel, zwei Hirten, drei heilige Könige. Religionskitsch, unendlich weit weg von unserer Welt, mit ihren Konflikten, Problemen, der Gewalt.
Dabei fängt die ganze, schöne Weihnachtsgeschichte an mit Politik im Alltag. Da geht es um Verwaltung und Volkszählung, also ganz weltlich alltäglich. Hätt’s damals Zeitung oder Nachrichten gegeben – das wäre doch genau dieser Ton: »ein Gebot von Kaiser Augustus… Schätzung... Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt.«
Der Apostel Lukas schreibt weiter wie ein Journalist, sachlich, aber auch clever, ohne Verdacht zu erwecken, er würde Maßnahmen des römischen Imperiums kritisieren. Denn Lukas konnte davon ausgehen, dass seine Hörer seinerzeit wussten, was mit »Schätzung« alles gemeint ist. Es werden nicht nur alle Menschen „gezählt“, sondern für die Steuer erfasst.
Dabei sind die Römer in den Provinzen so unglaublich hart und brutal vorgegangen, mit Nötigung, mit Willkür und massenhafter Folter, dass es zum Aufruhr gegen die Besatzungsmacht kam. Lukas erwähnt übrigens an anderer Stelle in der Bibel, dass es damals bei der Schätzung einen Aufstand in Galiläa gab. Joseph bringt also Maria aus dem Bürgerkriegsgebiet in Sicherheit, ins judäische Hinterland, ein geheimer Unterschlupf in den Bergen. Das war der Grund für eine „Reise“ im achten, oder neunten Schwangerschaftsmonat, besser: für diese Flucht der jungen Familie.
Auch wenn kaum eine Zeitung so einen Bericht abdrucken würde, mit Geburt, Windeln und Krippe. Für Lukas ist das die Meldung des Tages. Geschickt gesetzt: mit dem Kaiser fängt er an und landet in einem Bergkaff Judäas, im hintersten Winkel des Imperiums. Dort kommt ein Flüchtlingskind im Viehstall zur Welt, sehr ärmlich, unsicher, nackt und bloß. Aber: es wird viel, viel wichtiger werden als der Kaiser.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=252
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