SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Schwester Tod. So nennt ihn Franz von Assisi: Der Tod, meine Schwester. Das hängt auch damit zusammen, dass der Tod im Italienischen weiblich ist: la morte. Geboren werden und sterben. Aus dem Schoß der Mutter kommen und wieder zurückkehren zu ihr. Franz von Assisi fühlt sich der Erde sehr verbunden, allem, was lebt. Er redet den Tod direkt so an: Lob sei dir, mein Herr, durch unsere Schwester den leiblichen Tod. Kein lebendiger Mensch kann ihr entrinnen.

Ich habe kein Problem mit den Tatsachen, die der Hl. Franziskus da nennt. Er hat Recht. Ich muss sterben. Wir alle müssen sterben. Jedes Geschöpf unter der Sonne. Aber dass er den Tod Schwester nennt und dass er Gott dafür lobt ... Das ist mir fremd, das wundert mich, ja, es bringt mich durcheinander. Ist denn der Tod nicht mein Feind? Dem ich alles entgegen setzen will, was ich nur vermag; vor dem ich am liebsten weglaufen würde, ihn jedenfalls so lange wir nur irgend möglich hinaus schieben will? Ich habe keine Geschwister, aber unter einer Schwester stelle ich mir eine Gefährtin fürs Leben vor; jemand, der natürlicherweise zu mir gehört; bis aufs Blut verwandt eben.

Hier könnte der Schlüssel zu dem liegen, wie Franziskus denkt. Er hält den Tod nicht für schlecht. Er will mit ihm so umgehen wie mit einer alten Bekannten, mit der er sich auskennt, von der er keine unliebsamen Überraschungen fürchten muss. Ich vermute, der Heilige würde im Tod eher eine Freundin sehen als einen Feind. Und das hat nicht zuletzt damit zu tun, wie er sein Leben verstand. Er wollte Jesus so nahe kommen, wie nur irgend möglich. Dazu musste er sein Leben nach dem ausrichten, was Jesus gesagt hat. Das bedeutete, einfach zu leben, ohne Einkommen und Besitz, arm zu sein und friedfertig. Und vor allem bedeutete es: sein Leben im Einklang zu wissen mit der Welt und dem, der sie gemacht hatte. Das beruhigt und nimmt die Angst. Jesus hatte sein Kreuz getragen. Er, Franz, würde das seine tragen. Jesus war von den Toten auferstanden. Darauf hoffte er fest, ja, das wünschte er sich, und hatte deshalb vor dem Tod keine Angst.

Von so einer Radikalität bin ich weit entfernt. Gleichzeitig fasziniert sie mich. Ich ahne, dass das Einfache genügt und es klug ist, wenn ich mich schon jetzt mit dem Tod vertrauter mache, ihn wie eine Schwester ansehe. Mir helfen dabei ein paar kleine Übungen:

   Hin und wieder verschenke ich ganz bewusst etwas, an dem ich hänge.

   Ich gehe regelmäßig über den Friedhof und suche Menschen auf, die ich gut kannte oder beerdigt habe.

   Ich achte auf das Kreuz, die Last eines anderen und versuche, sie tragen zu helfen.

  Und abends vor dem Einschlafen: Da versuche ich mir so selbstverständlich wie möglich und immer wieder zu sagen: Einmal werde ich nicht mehr aufwachen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25181
weiterlesen...