SWR2 Wort zum Tag

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„Ich komme aus einem islamischen Land“, sagt Hussam am Ende unseres Gesprächs, „aber hier in Deutschland sind mir die wahren Muslime begegnet“. Ich bin überrascht. Hussam ist selbst Muslim. Er ist 2015 mit seiner Familie aus Syrien geflohen. Erst als ich nachfrage, verstehe ich, was er mit dem Satz meint. Er hat hier keine anderen Muslime getroffen als in seiner Heimat. Nein, er meint damit all die Deutschen, die ihm bei seiner Ankunft geholfen haben. Ein wahrer Muslim ist für ihn ein Mensch, der sich gut zu seinen Mitmenschen verhält. Jemand, der nicht nur fromm redet, sondern freundschaftlich jedem seine Hilfe anbietet, der sie braucht.

Hussam ist dankbar dafür, wie er hier bei uns aufgenommen worden ist. Gleichzeitig ist er auch enttäuscht. Enttäuscht über sein Heimatland und viele seiner Landsleute. Ich kann das verstehen, wenn ich sehe, was dort seit Jahren passiert. Und das tut mir weh, weil ich Syrien ganz anders erlebt habe.

In den Jahren vor dem Bürgerkrieg war ich immer wieder für längere Zeit dort, um Arabisch zu lernen. Auch wenn ich unter ganz anderen Vorzeichen dorthin gekommen bin, habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht wie Hussam hier in Deutschland. Zu mir als Fremdem waren die Menschen in Syrien unfassbar hilfsbereit und gastfreundlich. Deshalb ärgert es mich, wenn religiöse Fanatiker es schaffen, dass der Islam so oft vor allem mit Terror und Gewalt in Verbindung gebracht wird. Ich kenne viele Muslimen, für die Mitmenschlichkeit ein hohes Gut ist. Ganz selbstverständlich leben sie mit den Menschen um sie herum und haben offene Augen, Hände und vor allem Herzen. Das kommt so natürlich nicht in den Nachrichten.

„Keiner glaubt, bis er für seinen Nächsten liebt, was er für sich selbst liebt.“ Dieser Ausspruch wird vom Propheten Muhammad überliefert. „Keiner glaubt, bis er für seinen Nächsten liebt, was er für sich selbst liebt.“ Auf das Zitat bin ich in einem offenen Brief gestoßen, den bedeutende islamische Gelehrte verfasst haben. Er trägt den Titel „Ein gemeinsames Wort zwischen uns und Euch“. Mit Bezug auf den Koran und die Bibel, wollen sie klar machen: das Gebot Gott und den Nächsten zu lieben, ist die große Gemeinsamkeit. Das ist das, was Muslime und Christen verbindet. Auf dieser Grundlage fordern sie auf, sich gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben einzusetzen.

Dass das funktionieren kann, macht mir das Gespräch mit Hussam deutlich. Und ich weiß es auch aus eigener Erfahrung von meiner Zeit in Syrien. Wenn ich mich klar dafür entscheide, mich anderen Menschen offen zuzuwenden, gelingt es Grenzen zu überwinden. Ich finde es bereichernd zu entdecken, was mich mit anderen verbindet. Das ist oft viel mehr als ich zunächst glaube.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=25078
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