SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Ich atme. Produktiver wird es heute nicht mehr. Diese Spruchkarte hat mir meine Freundin nach einem langen und anstrengenden Sitzungstag in die  Hand gedrückt. Ich atme. Produktiver wird es heute nicht mehr. Erst einmal lächle ich über den Spruch, finde ihn entspannend. Ich atme! Das ist etwas ganz Geniales, denn ich atme seitdem ich auf der Welt bin, Tag und Nacht und ich atme ohne bewusste Anstrengung, ohne eigenes Dazutun. Ich atme! Wie existentiell das ist, machen auch viele Redewendungen deutliche:  bis zum letzten Atemzug, eine Atempause haben, das ist atemberaubend… Mein Atem ist ein Geschenk! Der erste Atemzug als Neugeborenes – da entscheidet es sich zwischen Leben und Tod. Gott schuf den Menschen – aber erst als er ihm Atem einhaucht, so erzählt es die Bibel– erst da wird der Mensch lebendig. In den Heilungsgeschichten haucht Jesus den Menschen an – und macht ihn so heil und gesund. Bei den Begegnungen der Apostel mit dem Auferstandenen haucht Jesus die Jünger an: Empfangt den heiligen Geist! Atem – Hauch Gottes.. Manchmal tut es mir gut, meinen Atmen wirklich wahrzunehmen. Und ich spüre: Wenn ich achtsam auf meinen Atem bin, bin ich achtsam nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitmenschen und für meine Umwelt. „Achtsamkeit ist das natürliche Gebet der Seele“, sagt der Dichter Paul Celan. Wenn ich meinen Atem wahrnehme  bin ich ganz schnell auch bei einem Gebet: ein Stoßgebet um Hilfe, ein Dank, wenn etwas gut geklappt hat, eine Bitte für einen lieben Menschen. Atmen und beten - das ist für mich eine enge und natürliche Verbindung. Manchmal sind es die Stoßgebete – manchmal ist es nur ein „Danke, ich bin da!“, die Freude daran, dass ich lebe und atme. Atmen und beten – das bewusst wahrzunehmen, gelingt mir oft nur ein paar Minuten am Tag. Aber dann kann ich dem Spruch zustimmen: Ich atme! Produktiver wird es heute nicht mehr!

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