SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Sie ist jünger als ich, denke ich sofort. Und sie sieht krank aus, sehr krank sogar, das ist unschwer zu erkennen. Im dem Krankenhaus, in dem meine Frau ein paar Tage verbringen muss, hat sie das Bett neben ihr. Wenn ich bei meiner Frau zu Besuch bin, nimmt Sie kaum Notiz von uns. Liegt meist abgewandt und still auf  ihrem Bett.

Erst als meine Frau sie eines Abends anspricht, taut sie auf. Nach und nach sprudelt ihre Geschichte aus ihr heraus. Dass sie schon seit Monaten immer wieder hier ist. Dass der Krebs ihren Körper zerfressen hat, immer mehr und mehr. Das sie oft unter schlimmen Schmerzen leidet und auch, dass sie inzwischen nicht mehr weiß, ob sie noch hoffen soll. Ihre Angehörigen wohnen nicht am Ort. Besuch bekommt sie selten. Leid macht einsam, denke ich. Und das Leid eines anderen anzuhören macht schweigsam. Mich zumindest. Weil Verstehen und Mitfühlen keine großen Worte brauchen und weil mir keine Worte oft lieber sind als hohles Geschwätz.

An dem Tag, als meine Frau entlassen wird, ist sie noch einmal zu ihr gegangen. Hat ihr eine kleine Pralinenschachtel mitgenommen, die sie selbst geschenkt bekommen hatte. Nichts besonders eigentlich. Aber die schwer kranke Frau im Nachbarbett strahlt über das ganze Gesicht. Tränen stehen ihr in den Augen. Die kleine Schachtel nimmt sie in die Hand wie einen Schatz. Was ist wirklich kostbar im Leben?, geht es mir durch den Kopf. Manchmal kann das unglaublich wenig sein.

Eine Woche später ist meine Frau nochmals in die Klinik gefahren. Ihre Zimmernachbarin war nicht mehr da. Wir haben sie nicht wiedergesehen.

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