Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Ich werde heute Abend für Sie beten.“ Dieser Satz, morgens im Zug, hat die Mitreisenden aufblicken lassen. Die Frau vorne rechts im Zugabteil öffnet die Augen. Der Mann im Anzug, mit dem Laptop auf den Knien, hebt seinen Blick vom Bildschirm. Und der Junge am Fenster, mit dem Mickeymausheft, hat seine Mutter fragend angeschaut.

Als der Zug eben angefahren war, hat der Schaffner die Tür geöffnet und einen alten Herrn ins Zugabteil gebracht. Er soll sich auf den freien Platz setzen, den, auf den die Frau in Jeans und Wanderschuhen ihre Beine hochgelegt hat. Der alte Herr ist sichtlich erleichtert und dankbar. Kein Wunder bei dem Gedränge da draußen auf dem Gang. Er hat eine leichte Behinderung. Von einem Schlaganfall vielleicht.  Er setzt sich, atmet auf und sagt zum Schaffner: „Danke. Ich werde heute Abend für sie beten.“ Das ist der Satz, der alle im Abteil dazu bringt, kurz aufzusehen.  Was hat der Mann da gerade gesagt? Er will beten – für den Schaffner? Der aber lacht: „Ja, wenn sie so einen guten Draht nach oben haben, dann tun sie das mal. Ich kann‘s brauchen.“ Und die junge Frau, die ihre Beine für den alten Herrn vom Sitz genommen hat: „Ja, und für mich bitte gleich mit.“ Lachen im Abteil. Ein bisschen verlegen. Dann gehen alle wieder ihrer Beschäftigung nach. Der alte Herr aber lacht nicht. Er hat es ernst gemeint. Er wird wirklich für die beiden beten. Obwohl er sie gar nicht kennt, wird er an sie denken, über sie nachdenken. Sie Gott anvertrauen. Gutes für sie erbitten.

Das tun Christen. Für andere beten. Doch dass jemand öffentlich in einem Zugabteil davon spricht, vor völlig fremden Leuten, das ist wohl eher selten. Fürbitte ist eher eine stille Sache. Aber ich bin sicher, gar nicht so selten. Manche Leute sagen: „Ich denke an dich“  und meinen „ich bete für dich“ Und das tun ziemlich viele für andere, auch solche, die meinen, den Draht nach oben längst verloren zu haben. Und manche Menschen sagen auch: Denk bitte an mich, mir geht’s nicht gut. Denk an mich, ich muss morgen ins Krankenhaus. Denk an mich um 10 Uhr, da schreibe ich eine Klassenarbeit“. Für mich heißt das: Denk an mich und bete für mich.

Es tut einfach gut, zu wissen, ich habe etwas Schweres vor mir, aber es denkt jemand an mich. Es betet jemand für mich. Er macht gewissermaßen Gott auf mich und auf meine Situation aufmerksam. So eine Fürbitte ist dann wie eine Rückenstärkung für eine zusätzliche Portion Mut und Kraft. Und die kann man ja eigentlich immer brauchen.

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