Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Shanah tovah!“. „ Ein gutes Jahr!“. Jüdinnen und Juden wünschen sich das heute. Am 21. und 22. September feiern sie Rosch ha-Schana. Das jüdische Neujahrfest. Mit besonderen Bräuchen in der Synagoge und auch zu Hause in der Familie.

Möge es süß und köstlich werden, das neue Jahr!  So heißt es an Rosch ha-Schana. Darum ist es Brauch, dass man beim festlichen Essen abends in der Familie unter anderem ein Stück Apfel in Honig eintaucht, auf dass einem das neue Jahr süß schmecken möge.

Der wichtigste Brauch an Rosch ha-Shana aber ist das Blasen des Schofar im Gottesdienst in der Synagoge. Der Schofar ist ein hohles Widderhorn. Sein Klang geht durch Mark und Bein. Es mahnt zum Nachdenken über das eigene Tun im alten Jahr. Der Ton des Schofar erinnert daran, dass die Gebote Gottes die Richtlinien sind, an denen Menschen sich dabei orientieren sollen. 

Am Neujahrstag können die jüdischen Gläubigen sich frei sprechen lassen  von ihren Fehlern im vergangenen Jahr und auch von den Versprechungen, die sie gemacht haben, die sie aber nicht einhalten konnten.

Das bringt mich zum Nachdenken. Wie oft liegt mir ein Versprechungen auf der Seele, das ich mir selbst oder anderen gemacht habe. Aber dann merke ich: das kann ich gar nicht leisten. Mein Versprechen ist viel zu groß.

Ich habe eine Frau kennengelernt, die hatte sich selbst versprochen, ihren demenzkranken Ehemann zu pflegen, bis ans Lebensende. Aber dann hat sie feststellen müssen. Sie schafft es nicht. Es geht einfach nicht. Sie hat schwer getragen an ihrem schlechten Gewissen und an dem Gefühl, versagt zu haben. Sie hat Gott um Hilfe bei der schweren Entscheidung gebeten. Freundinnen und Freunde haben ihr geholfen. Sie haben ihr gesagt, es ist genug jetzt. Das ist zu viel für dich. Wir suchen mit dir nach einer guten Lösung für dich und auch für deinen Mann. Heute lebt ihr Mann im Pflegeheim. Fast jeden Tag ist sie bei ihm. Ohne schlechtes Gewissen, körperlich und seelisch wieder erholt und voll Zuwendung und Liebe für ihren Mann.

Ich glaube, dass Gott so barmherzig ist und Menschen von zu schweren Aufträgen entbindet,  die sie sich aufgebürdet haben. Denn nur wer wieder frei ist von einem unlösbaren Versprechen, kann auch  kreativ werden, eine neue, eine bessere Lösung zu finden.

Shana tovah, ein gutes Jahr –  darum allen, die heute Rosch ha-Schana feiern.  Und shana tovah auch allen, die jetzt noch einmal Bilanz ziehen möchten, damit der Rest der Jahres nicht nur gut – sondern süß und köstlich wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24997
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