SWR2 Wort zum Tag

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Sie starb an einem Januartag 1983 am Bahnhof Termini in Rom. Mit 71 Jahren. Ihr Name Modesta Valenti. Sie wird nicht die einzige gewesen sein, die in diesem Alter und dieser Stadt gestorben ist. Aber wie sie gestorben ist, das ist erschreckend. Modesta Valenti war eine der vielen Obdachlosen in den Straßen Roms. Sie war krank, und an diesem Januartag brach sie am Bahnhof zusammen. Man rief einen Rettungswagen. Aber die Sanitäter weigerten sich Modesta mitzunehmen, da sie ihnen zu schmutzig war. Sie ließen sie liegen und fuhren davon. Wenig später riefen Leute erneut die Notrufzentrale an, und eine zweite Ambulanz traf am Bahnhof ein, und das Gleiche geschah. Man weigerte sich die Frau zu transportieren, weil sie auch diesen Rettungsassistenten zu schmutzig war. Modesta blieb liegen und starb. Auf der Straße vor dem Bahnhof.

Heute erinnert eine Bronzetafel an Modesta in der Via Dandolo in Rom. Die Gemeinschaft San Egidio hat dort ein Haus und kümmert sich um Obdachlose. Zur Gemeinschaft gehören Christen, die ganz normalen Berufen nachgehen, Familie haben und sich darüber hinaus sozial engagieren. Einmal im Jahr wird an Modesta Valenti erinnert. Mit einem Gottesdienst und einem anschließenden festlichen Essen. Dabei werden alle im letzten Jahr verstorbenen Obdachlosen mit Namen genannt, und es wird für sie gebetet. Einer, der seit Jahren auf der Straße lebt, hat gesagt: „Gut zu wissen, dass nach meinem Tod doch noch jemand an mich denken wird.“

Ich selbst finde es großartig wie die Christen von San Egidio mit den Obdachlosen umgehen. Nicht von oben herab, nicht mit einer gnädigen Mitleidsnummer, sondern sie begegnen ihnen auf Augenhöhe, geben ihnen etwas von ihrer Würde zurück, nennen sie „amici“, also Freunde. An Weihnachten räumen sie ihre Kirchen leer und feiern mit den amici an festlichen Tafeln. Einladungskarten werden verteilt, es gibt eine Menükarte und ein weihnachtliches Festessen. Oder sie packen einen kleinen Weihnachtsbaum, kleine Geschenke und etwas zu essen ein und nutzen den Heiligen Abend um Obdachlose in den Bahnhöfen zu besuchen - um mit ihnen zu singen, zu beten, zu essen und zu lachen. Vor einigen Jahren habe ich bei solch einem anderen Feiern einmal mithelfen dürfen. Es war ein unvergessliches Weihnachtserlebnis. Und es war ein Beweis, dass es möglich ist, nach dem Evangelium leben zu können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24990
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