SWR2 Wort zum Tag

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oder Jesus und Klischees

Auch Jesus war nicht frei von Klischees und Vorurteilen. Einmal begegnet er einer Frau, die einer fremden, nichtjüdischen Religion angehörte. Sie hat von Jesus gehört und bittet ihn inständig ihre kranke Tochter zu heilen. Jesus reagiert mit bemerkenswerter Arroganz. Zuerst überhört er sie einfach, so als würde ihn das überhaupt nicht interessieren. Seine Jünger bitten ihn daraufhin ihr doch den Gefallen zu tun, nicht weil sie mit ihr sympathisieren, sondern weil ihnen das Klagen der Frau schlicht auf die Nerven geht, und sie sie los werden wollen. Jesus erwidert knapp: die Leute dieser Religion gehören -modern ausgedrückt- nicht zu meiner Zielgruppe. Die Frau aber lässt nicht locker, fällt sogar vor Jesus auf die Knie, um dann von ihm gesagt zu bekommen - so wörtlich: „Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen“. Heißt also: die Frau und ihr Volk gehört zu den Hunden, und mit den Kindern meint er sein eigenes. Überheblicher geht’s wohl kaum. Die Frau gibt trotzdem nicht auf, kämpft für ihr Kind wie eine Löwin und erwidert schlagfertig: Da habe er wohl recht, aber selbst die Hunde bekämen zumindest etwas von den Brotresten. Da muss es bei Jesus „Klick gemacht“ haben, denn er revidiert seine Haltung, lobt sogar den starken Glauben der Frau und kümmert sich um die kranke Tochter.

Diese Stelle ist für mich einer der stärksten Hinweise, dass Gott es mit dem Mensch-Sein Jesu wirklich ernst gemeint hat. Der Gottessohn Jesus spielt nicht nur die Rolle Mensch, sondern lebt sie mit allem Drum und Dran. Er wächst heran wie ein normaler Jugendlicher seiner Zeit mit guten und mit schlechten Tagen und bekommt auch die Klischees und Vorurteile seiner Umwelt mit. Und dazu gehört wohl auch, dass man mit „denen von der fremden Religion“, (hier sind sie Kanaanäer gemeint) nichts zu tun haben will. Und so reagiert Jesus zuerst auf die Bitte wie es in seinem Umfeld üblich war: abweisend. Er macht was alle machen. Nur mit einem Unterschied und zwar mit einem gewaltigen: er bleibt nicht im Vorurteil gefangen, sondern ändert seine Meinung und heilt das kranke Kind. Er gibt de facto seinen Fehler zu, und das fällt vielen bis heute sehr schwer. Aber Jesus ermutigt mich, es beim nächsten Fehler vielleicht auch so zu versuchen. Denn der nächste Fehler kommt bestimmt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24989
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