SWR3 Gedanken

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Folgende Geschichte: Ein Mann sitzt in einem fahrenden Zug. Jedes Mal, wenn der Zug hält und weiterfährt, seufzt und jammert er laut. Von Bahnhof zu Bahnhof immer lauter. Die anderen Menschen im Abteil sind irritiert, machen sich langsam Sorgen.

Irgendwann fragt einer den Mann, warum er denn so unglücklich ist. „Weil ich die ganze Zeit in die falsche Richtung fahre“, antwortet der Mann, „und mit jedem Bahnhof entferne ich mich weiter vom Ziel.“ Verwunderte Rückfrage: „Warum steigen Sie dann nicht einfach aus und nehmen den Zug in die andere Richtung?“ Da schüttelt der Mann den Kopf und sagt: „Aber die Fahrkarte war doch so teuer.“

Soweit die Geschichte. Die mir nicht mehr aus dem Sinn geht. Wie kann man so blöd sein? Im Zug sitzen bleiben, immer weiter in die falsche Richtung fahren, immer weiter vom eigentlichen Ziel weg? Nur weil die Fahrkarte so teuer war? Das gibt es doch nicht.

Das gibt es schon. Michael ist todunglücklich in seinem Beruf. Aber er macht immer weiter. Sabines Ehe ist längst am Ende. Aber sie macht immer weiter. Und ich kenne das doch auch. Falscher Weg, falsche Entscheidung, falsches Verhalten. Aber aussteigen? Die Richtung ändern? Dann lieber Seufzen und Jammern.

Schließlich habe ich so viel schon investiert in das, was ist und was ich tue. Eigentlich fühlt sich mein Leben verkehrt an und ist es wahrscheinlich auch. Aber ich bleibe lieber im Zug sitzen, verliere das Ziel aus den Augen. Nur weil ich fürchte, dass es mich teuer zu stehen kommt, wenn ich die Richtung ändere.

Mag sein, dass das auch so ist. Umkehr hat ihren Preis. Aber auch ihren eigenen Wert. Weil ich eigentlich nicht irgendwo landen will, wo ich nie hinwollte. Sondern dort, wo mein Leben sich richtig anfühlt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24975
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