SWR3 Gedanken

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Grau ragt das große steinalte Gebäude in den Himmel. Die Mauern sind gut und gerne einen Meter dick: die schweren Steine sind kunstvoll aufeinandergestapelt. Ohne Zement oder Dichtungsmasse halten sie zusammen. Und so haben Unmengen von großen und kleinen Vögeln in den Nischen, Lücken und Höhlen zwischen den Mauersteinen ihre Nester gebaut.

Die Sonne strahlt durch die Wolken. Ich bin in Urlaub in Frankreich, in der Bretagne und kann mich an dem Spektakel nicht sattsehen: überall Vögel, das Haus scheint zu singen, das Haus scheint überzuquellen vor Freude und Leben.

Dieses Steinhaus wurde erbaut im 16. Jahrhundert, in einer Zeit, in der die protestantische Kirche entstand und in Frankreich auf das Bitterste verfolgt wurde – grausamer Höhepunkt: die Bartholomäusnacht. In dieser Nacht vom 23. auf den 24. August 1572 wurden tausende von Protestanten getötet. Es folgten Vertreibungen, Grausamkeiten aller Art. Die sogenannten Hugenotten, wie die evangelischen Franzosen genannt wurden, wurden über ganz Europa zerstreut. Eine grausame, eine harte Zeit für die Verfolgten.

Und in dieser schrecklichen Zeit ist also dieses alte Steinhaus erbaut worden. Für mich wie ein Wunder. Ich komme fast jeden Tag hierher. Kohlmeisen, Blaumeisen, Lerchen, Schwalben, Rotkehlchen… sie alle teilen sich fröhlich und wie selbstverständlich die Steinmauern des historischen Gebäudes. Und da pfeift, zwitschert, piepst es in allen Sprachen der sesshaften Jahresvögel, der Durchzügler, der Invasionsvögel und der Zugvögel.  Wenn Vögel religiös sind - hier sind alle Religionen vertreten. Hier herrscht ein Frieden, von dem man damals, als das Haus entstand, nur träumen konnte.

Das Haus ist für mich ein Symbol der Hoffnung für uns: die Vergangenheit ist gegenwärtig, sie ist steinhart, aber in der Gegenwart und der Zukunft, da zwitschert es in vielen Sprachen!

→ Inspiration: Jean Teulé, Comme une respiration, Editions Julliard, Paris, 2016.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24887
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