SWR3 Gedanken

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„Schlaf erst einmal eine Nacht drüber!“ Als Jugendliche hat mich der Ratschlag meiner Mutter rasend gemacht. „Schlaf erst mal eine Nacht drüber!“ Ich wollte spontan sein. Mich freuen, traurig oder wütend sein - und zwar spontan! Und ist nicht die erste Reaktion immer die ehrlichste? So ganz aus dem Bauch raus und echt? So dachte ich.

Die Weisheit, die hinter dem Ratschlag steht, ist mir eigentlich erst mit den ganzen WhatsAPP’s und Emails aufgegangen. „Schlaf erst einmal eine Nacht drüber!“ Wie oft bekomme ich eine E-Mail, die mich trifft und verletzt oder eine, die mich wütend macht. Und wie schlecht ist es, auf so eine E-Mail sofort und unmittelbar zu reagieren. Eine Nacht drüber zu schlafen, bringt Abstand, manchmal auch Einsicht in die weiteren Zusammenhänge oder eine andere Lesart. Nach einer Nacht kann man gelassener nachfragen: Sag mal, wie hast du das gemeint?

Es gibt eine Geschichte in der Bibel, die genau von diesem Drüber-Schlafen erzählt (Matthäus 1,18-24). Als Josef erfährt, dass seine Verlobte Maria schwanger ist, ist er außer sich vor Wut. Also von ihm kann das Balg nicht sein… Sein erster Gedanke? Soll sie doch allein sehen, wie sie damit zurechtkommt! Unverheiratet schwanger, ohne potentiellen Vater – das war zur Zeit der Bibel für eine junge Frau moralisch unmöglich, man hätte sie verstoßen. Aber bevor Josef sich davon macht, legt er sich erst einmal hin und -  schläft eine Nacht drüber. Die Bibel erzählt nun, dass ihm im Traum ein Engel erscheint, er solle sich doch um Gottes Willen bitte der Schwangeren und ihres künftigen Kindes annehmen; sie gerade in einer solchen Situation nicht allein lassen. Und als Josef aufwacht, macht er genau das: er kümmert sich um Maria und ihr Kind.

Manchmal ist es besser, eine Nacht vor einer Entscheidung sich erst mal hinzulegen und über ein Problem zu schlafen. Nicht sofort losstürmen, sondern erst mal kurz innehalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24881
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