SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Mein Vater steht mitten im Leben. Wenn ich an ihn denke, sehe ich einen Mann vor mir, der ständig unterwegs ist, sich für Kunst und Kultur interessiert, immer up to date ist und stets ein offenes Ohr für seine Familie und Freunde hat. In seinem Job setzt er sich mit Leidenschaft für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein. Und das alles mit 64 Jahren. Vor kurzem hat er seinen Geburtstag gefeiert. Ich habe mir gedacht: „64 Jahre – so alt wirkt er doch noch gar nicht! Unvorstellbar, dass mein Vater bald in Rente gehen wird!“

Weil das Thema Rente nun also immer näher rückt, scherzen wir in unserer Familie hin und wieder darüber. Aber in Gesprächen wird schnell klar: Mein Vater wird nicht  vom einen auf den anderen Tag nur noch auf der faulen Haut liegen. Er ist gar nicht der Typ, der aus Lust und Laune das tut, was ihm gerade in den Sinn kommt. Mit der Rente beginnt ein neuer Lebensabschnitt, den er gestalten muss. Und dabei ist er natürlich nicht allein. Auch meine Familie und ich wissen, dass wir uns daran beteiligen.

Immerhin verändert sich ein großer Teil seines Lebens. Bis jetzt arbeitet er 50 oder gar 60 Stunden die Woche. Was bisher so viel Zeit eingenommen hat, wird plötzlich wegfallen. Ich bin mir sicher, er wird die Zeit sinnvoll füllen wollen. Doch das bedeutet für ihn, sich auf einen komplett neuen und anderen Lebensalltag einzulassen – und das wird nicht einfach. Auf diesen Übergang muss er sich vorbereiten: Welche Rahmenbedingungen sind überhaupt da, um die neue Zeit zu gestalten? Welche Bedürfnisse hat er? Ist er auf der Suche nach neuen Aufgaben? Oder braucht er erst einmal eine Auszeit?

Letztlich muss mein Vater den Weg in seinen neuen Lebensabschnitt finden, der zu ihm passt. Ich denke, er wird erst einmal viiiel schlafen und meiner Mutter ordentlich den Alltag durcheinander werfen. Wahrscheinlich werden einige Ausflüge zu den Enkelkindern anstehen und diverse Kunstausstellungen angepeilt. Aber auf Dauer kann ich mir gut vorstellen, dass er sich eine feste Aufgabe suchen wird. Ob das mit seinem alten Job zu tun haben wird oder noch einmal eine ganz andere Richtung einschlagen wird, weiß ich nicht. Doch dabei ist eins klar: Mit der Rente wird sich einiges verändern, für uns alle. Und auch, wenn ich selbst vom Rentenalter noch Jahre entfernt bin, habe ich einen Wunsch – für meinen Vater, aber auch für die vielen Frauen und Männer, für die das Thema Rente aktuell ist: Ich wünsche meinem Vater Offenheit und Neugier für seinen neuen Lebensabschnitt. Ich wünsche ihm Lust auf neue Erfahrungen. Ich wünsche ihm den Mut, Dinge auch mal sein zu lassen. Und letztlich wünsche ich ihm das Vertrauen, dass wir für ihn da sein werden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24804
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