SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wenn Dichter über andere Dichter reden, dann ist das nicht immer schmeichelhaft. Nicht so bei Hans Magnus Enzensberger. Über Joseph von Eichendorff, dessen To-destag sich in diesem Monat zum 150. Male jährt, schrieb er:
„Der Herr v. Eichendorff hat sich nicht erschossen. Der Herr v. Eichendorff kokste nicht, kam ohne Duelle und ohne Quickies aus. Der Herr v. Eichendorff sprach flie-ßend polnisch. Sein Ehrgeiz hielt sich in Grenzen.
... und (er) hinterließ ein paar Zeilen, nur ein paar Zeilen, die Ihnen eines Tages ... vielleicht etwas Weiches, Unbekanntes zu fühlen geben, das früher Wehmut hieß“.
Etwas Weiches, Unbekanntes. Ich lese in diesen Tagen, wo das Kirchenjahr sich langsam neigt, besonders gerne ein Gedicht, für das diese Beschreibung zutrifft. Es heißt „Der Umkehrende“ und ist eine Art Rückblick – eigentlich auf ein ganzes Le-ben.
„Es wandelt, was wir schauen/Tag sinkt ins Abendrot,/Die Lust hat eignes Grau-en,/Und alles hat den Tod.“
Und dann beschreibt Eichendorff das ständige Vergehen und den Verlust dessen, was einmal ewig zu sein und zu halten schien: „Ins Leben schleicht das Leiden/sich heimlich wie ein Dieb,/Wir alle müssen scheiden/von allem, was uns lieb.“
Nun könnte man denken, dass ein Gedicht, das so beginnt, zwangsläufig in Schwermut enden muss. Am Schluss aber steht etwas ganz anderes. Plötzlich tritt ein Du hervor, an das der Klagende sich wendet: „Du bist’s, der, was wir bau-en,/mild über uns zerbricht.“
Plötzlich also lichtet sich der Nebel und ein Stück Himmel reißt auf. Paradoxerweise geschieht das gerade da, wo der Sprecher zerbrechen sieht, was ihn Kraft und Mü-he gekostet hat, was vielleicht sogar sein ganzes Leben ausmachte.
„Du bist’s, der was wir bauen,/mild über uns zerbricht/Dass wir den Himmel schau-en/ – darum so klag ich nicht“.
Ein starkes Bild. Es kann ja wirklich geschehen, dass, was wir als Dach über uns errichtet haben, zerbricht. Ein Unfall, ein Schicksalsschlag, eine Krankheit. Wie schnell zerbricht das Gewölbe, unter dem wir meinten, unser Leben sinnvoll ordnen zu können.
Aber durch diesen Riss hindurch zeigt sich etwas Neues: eine Weite, die die Klage leise werden lässt. Sie schenkt den Trost, dass auch über dem zerbrochenen Le-bensdach ein weiter Himmel gespannt ist.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2479
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