SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Verlieren macht keinen Spaß. Verlieren ist nicht sexy. Wer gehört schon gerne zu den Verlierern? Wenn ich in eine Suchmaschine im Internet das Stichwort „Verlie-ren“ eingebe, kann ich solche und ähnliche Sätze in Internet-Tagebüchern finden.
Dabei, so denke ich mir, ist es gerade der Umgang mit Verlusten, den wir lernen müssen. Unser Leben ist ja voll davon: es beginnt mit dem verlorenen Zahn, dem verlorenen Schlüsselbund, einer verlorenen Wette. Und endet bei Verlusten ganz anderer Art: dem Verlust der Gesundheit, dem Verlust des Vermögens, dem Ver-lust des Lebenspartners. Leben heißt nicht zuletzt mit Verlusterfahrungen umgehen können und daran nicht zu zerbrechen.
Imre Kertész, der ungarische Schriftsteller und einstige KZ-Häftling, erzählt dazu folgende Geschichte: Der einzige Überlebende eines Schiffsunglücks wird an den Strand einer unbewohnten Insel gespült. Tag für Tag hält er Ausschau nach Ret-tung. Immer vergeblich. Schließlich baut er für sich und seine wenigen Habseligkei-ten eine kleine Hütte aus Holz.
Eines Tages aber geht seine Hütte in Flammen auf. Nun hat er endgültig alles ver-loren. Er schreit und klagt vor Zorn und Verzweiflung. Am nächsten Morgen hört er das Geräusch eines Motorbootes. Er springt auf – und tatsächlich, man will ihn ret-ten.
„Woher wusstet ihr, dass ich hier bin?“, fragt er glückstaumelnd seine Retter. „Wie haben die Rauchsignale gesehen, die über der brennenden Hütte aufstiegen“, war die Antwort.
Eine merkwürdige Paradoxie ist das! Was den Schiffbrüchigen endgültig umzubrin-gen scheint, wird zum Beginn seiner Rettung. Wo er mit seiner Weisheit am Ende ist, kommt die erlösende Hilfe.
Mir fällt dazu das jüdische Psalmgebet ein, das Johannes Brahms in seinem Re-quiem an herausragender Stelle platziert und in Musik umsetzt: „Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden, dann wird unser Mund voll Lachens sein ... Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“
Die Klage über die verlustreiche Bilanz eines Menschenlebens wird durchbrochen mit dem Hinweis, dass Gottes Weisheit noch lange nicht verbraucht ist, wenn Men-schen mit ihrer Weisheit am Ende sind. Manchmal ist es der Rauch, der über einem Lebensprojekt aufsteigt, der andere Menschen zu Hilfe ruft und Rettung bringt.
Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2478
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