SWR4 Abendgedanken

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„Frau Pfarrerin, ich habe heute ein Kleid an, und das hat Linien“. Mit diesen Worten hat mich Emma begrüßt. Sie ist zweieinhalb Jahre alt. Ihr kleines Brüderchen soll getauft werden. Deshalb habe ich einen Besuch bei der Familie gemacht. Und Emma war sehr gespannt, was ich mit den Eltern zu besprechen hatte. Erst einmal hat mich amüsiert, was die Kleine erzählt hat. Sie mag ihr hübsches gestreiftes Sommerkleidchen. Und sie freut sich, dass sie dem Besuch ihr Kleidchen zeigen kann.

Dabei ist mir eingefallen, dass es bei der Taufe oft auch um ein Kleid geht. In manchen Familien gibt es ein Taufkleid für den Säugling. Ein kostbares langes Kleidchen aus weißer Spitze, das von Generation zu Generation weitergereicht wird. Das hat die Oma schon getragen  und später alle ihre Kinder und jetzt das Enkelkind. Und wenn das einmal eigene Kinder hat, wird das Taufkleidchen vielleicht wieder zum Einsatz kommen. Ein schönes Zeichen finde ich. Es zeigt, wie der Glaube weitergeht von einer Generation zur nächsten.

Am Anfang der Christenheit, als in der Kirche vor allem Erwachsene getauft wurden, trugen diese zu ihrer Taufe lange, weiße Gewänder. Das haben die Christen von den Römern übernommen. Dort war es üblich, dass Menschen, die sich für ein neues Amt beworben haben, bei ihrer öffentlichen Vorstellung eine weiße Toga getragen haben.

Das lateinische Wort für die Farbe weiß - candidus - findet sich ja noch in unsere Begriff Kandidat. Kandidaten waren also die, die weiß gekleidet zu einem wichtigen Ereignis gekommen sind. An dem Gewand konnte man erkennen: Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt im Leben dieses Menschen. Im weißen Kleid kommen sie zur Taufe in den neuen Glauben. Die Farbe Weiß war zugleich ein Zeichen dafür, dass sie ein reines Leben suchen, unbelastet von allem Düsteren.

Natürlich weiß jeder, dass man den Glauben nicht anziehen kann wie ein Kleidungsstück. Aber dass ein Kleid das Zeichen einer Haltung ist, das weiß schon ein kleines Kind wie Emma. Ihre Familie hat ein Taufkleid zum Weitergeben. Wer getauft wird und also in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen, der zieht es an. Und Emma? Sie darf zur Feier des Tages ihr Lieblingskleid anziehen, wenn ihr Brüderchen getauft wird. Weil sie sich mitfreut bei diesem großen Ereignis.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24761
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