SWR2 Wort zum Tag

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Heute vor 90 Jahren wurde der Goethepreis der Stadt Frankfurt zum ersten Mal verliehen, und die Liste der Preisträger liest sich tatsächlich wie ein Who is Who der Geistesgeschichte: Albert Schweitzer, Sigmund Freud, Max Planck, Thomas Mann, Arno Schmidt und Siegfried Lenz, um nur einige zu nennen. Immerhin auch ein paar wenige Frauen: Ricarda Huch, Pina Bausch und – in diesem Jahr, Ariane Mnouchkine. Heute, an Goethes Geburtstag, wird ihr dieser Preis überreicht.

Während meines Studiums in Paris pilgerte ich regelmäßig in ihr „Theatre du Soleil“ in die Cartucherie nach Vincennes und stand manchmal stundenlang für eine Karte an. Damals hatte sie das Projekt, die großen Königsdramen Shakespeares mit japanischen Einflüssen zu inszenieren. Mein Französisch war nicht so gut, dass ich jede Facette verstanden hätte, trotzdem war ich fasziniert. Diese Regisseurin hat mit ihrer Truppe Gesamtkunstwerke erarbeitet, in denen die Bewegungen der Schauspieler mit dem Text des Dramas und dem Raum der Inszenierung eine ganz eigene Verbindung eingingen, die auch die Zuschauenden mit einbezog. Manchmal habe ich auf eine Mahlzeit verzichtet, um mir eine Karte leisten zu können. Dieses Theater war und ist ein Erlebnis. Erst später habe ich erfahren, dass Ariane Mnouchkine mit ihrer Truppe als Kollektiv arbeitet, in der alle dasselbe verdienen, vom Bühnenarbeiter bis zur Regisseurin. Begeistert hat mich der Esprit dieser Truppe, der besondere Geist, der räumlich zu spüren war und ist. Kein Wunder, dass sich Ariane Mnouchkine mit ihrem Théatre du Soleil gegen jede Form des Fanatismus engagiert.

Ariane Mnouchkine hat jüdische Wurzeln, aber soweit ich weiß, ist sie nicht religiös. Trotzdem kann man auch als Pfarrerin viel von ihr lernen. Etwa, dass der Raum eines Gottesdienstes eine ebenso wichtige Aufgabe hat wie die Worte, die gesprochen werden, und dass alle, die am Gottesdienst mitwirken, wichtig sind. Im Gottesdienst gibt es keine Hierarchie. Die Küsterin ist genauso wichtig wie die Pfarrerin oder der Kirchenvorsteher oder der Mann, der ganz zufällig in den Gottesdienst gekommen ist. Und ich habe gelernt, dass die Begeisterung sprachliche Grenzen überwinden kann. Und auch andere Grenzen, jedenfalls, wenn die Begeisterung für die Sache überspringen kann. Wie schön, wenn dann jede und jeder seinen Beitrag dazu leisten kann an seinem, an ihrem Platz. Auch wenn man nicht zum Who ist Who zählt. Und doch wichtig ist. Im großen Theater dieser Welt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24751
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