SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Schon früh am Morgen fängt sie an. Schnell das Frühstück für den Vater hinstellen. Das Brot bloß nicht zu hart. Dann wird er ärgerlich. Nach dem Tod der Mutter hat sie die meisten Aufgaben übernommen. Essen kochen. Wäsche waschen. Hof fegen. Wenn der Vater ruft, läuft sie los. Das war schon immer so. Und wird wohl immer so sein. Einmal hat sie geträumt, von dem Jungen auf der anderen Seite der Straße... wie es wäre, ein eigenes Leben zu haben... Aber das steht ihr nicht zu. Nie sagt sie, was sie wirklich denkt. Nie nimmt sie sich, was sie braucht. Wen interessiert das?

Einmal wird sie wütend deswegen. Schmeißt den Krug auf den Boden, dass es scheppert. Aber Wut steht ihr auch nicht zu. Erschrocken zieht sie die Schultern ein, macht sich ganz klein. Macht sich immer ganz klein. Erst ist ihr Hals ganz steif. Irgendwann verkrampften ihre Schultern und ihr Rücken wird krumm. Bis sie sich nicht mehr gerade aufrichten kann.

Die Nachbarjungs zeigen mit dem Finger auf sie, wenn sie vorbeischlurft. Jahrelang schleppt sie sich so durch den Tag. Doch dann, auf dem Markt beim Einkaufen, spricht jemand sie an. Einfach so. Will wissen, wer sie ist. Fragt sie nach ihrem Rücken. Legt vorsichtig die Hand darauf. Und macht sich nicht lustig.

Ermuntert sie zu erzählen. Er will wissen, was sie denkt. Was sie braucht. Und er macht ihr Mut. Mut sich zu wehren. Wütend zu sein, wenn jemand sie übergeht. Wenn sie nicht zu ihren Wünschen steht. Und zu ihren Träumen und Sehnsüchten. Und zum ersten Mal in ihrem Leben fühlt sie: da gibt es Jemanden, der sieht mich. Das war für sie der Anfang einer neuen Geschichte. Und zwar die Geschichte von Jesus und der gekrümmten Frau. So steht sie in der Bibel. Aber wer weiß, vielleicht passiert sie ja auch heute immer wieder...?

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