SWR2 Wort zum Tag

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Ohne Vertrauen wäre unsere Gesellschaft eine andere als die, die sie ist. Das wurde mir neulich klar in einer Geschichte, die mir ein Kollege erzählt hat:
„Ja, bei uns muss man bezahlen, bevor man tankt! Bei Euch nicht?“

Irina sagt das zu meinem Kollegen Martin. Martin ist zum ersten Mal bei seiner russischen Freundin Irina zu Besuch. Irgendwo zwischen Moskau und St. Petersburg. Kennengelernt haben die beiden sich im letzten Jahr.

In Russland bezahlt man erst und dann kann man tanken. Also begleitet Irina Martin in die Tankstelle und Martin bezahlt umgerechnet seine 40 Euro. Danach darf er tanken. So richtig voll wird der Tank davon nicht. Aber Martin hat keine Lust, nochmal in das Häuschen zu gehen. Das ist ihm zu nervig. Er versteht diese ungewohnte Praxis überhaupt nicht und wundert sich sehr darüber.

„Warum müsst ihr denn bezahlen, bevor ihr tankt?“, fragt Martin, als sie wieder unterwegs sind. Irina runzelt ihre Stirn. Dann lacht sie. „Na, dreimal darfst Du raten!“, sagt Irina. „Weil sonst alle nach dem Tanken schneller fort wären, als Du gucken kannst! Natürlich ohne bezahlt zu haben!“ Zunächst herrscht Stille im Auto. Dann wird Irina ganz aufgeregt: Darf man bei Euch wirklich tanken, ohne bezahlt zu haben? Das ist ja geradezu eine Einladung, nicht zu bezahlen! Das würde bei uns nicht funktionieren!“ Martin wird nachdenklich:

Ja, warum mache ich das eigentlich so? Erst tanken und dann zahlen?

Ja, warum machen wir das eigentlich so? Das habe ich mich auch gefragt, als ich diese Geschichte gehört habe. Na – weil man das einfach nicht tut, weil das unanständig ist. Losfahren, ohne zu bezahlen. Klauen. Das geht doch nicht, das wäre schäbig.

Wir vertrauen einander! Unser Umgang miteinander basiert auf dem Glauben an das Gute im Menschen. Noch. Durch seine russische Freundin ist Martin und mir das wieder klargeworden. Seine Wurzeln hat das wohl auch im christlichen Glauben. Da geht es auch um Vertrauen. Und dass sich das Vertrauen auf andere Menschen lohnt. Weil wir alle Geschöpfe Gottes sind. Und der meint es gut mit uns Menschen.

Und ehrlich gesagt, bin ich auf dieses Alltags-Vertrauen auch ein bisschen stolz. Und hoffe, dass wir das hier zu schätzen wissen. Und uns deswegen nicht für naiv halten, sondern es ganz bewusst pflegen und uns dran freuen. An unserem Vertrauen. Dass wir der Ehrlichkeit von anderen – oft jedenfalls – vertrauen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24693
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