SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Viele Menschen sind mit sich unzufrieden. Nicht grundsätzlich und andauernd. Aber manchmal fällt eben auf, dass Dinge schlecht gelaufen sind und das auch mit uns zu tun hat. Wir machen Fehler. Wir reagieren unberechenbar. Wir kümmern uns nicht um die, die uns brauchen. Wir schauen weg. Wir sind zu anderen gemein und hartherzig. So ist der Mensch, so bin ich, so sind alle. Nicht immer, aber manchmal. Wenn es mir auffällt, dann ärgere ich mich über mich selbst und möchte am liebsten, was passiert ist, ungeschehen machen, weil es mir hinterher leid tut. Aber das geht eben nicht. Im Bett, vor dem Einschlafen, wenn ich nachdenke, fällt es mir wieder ein und beschäftigt mich noch. Was kann ich tun?

Ich habe mir für diese Fälle einen Vers aus der Bibel bereit gelegt. Es ist nur ein kurzer Satz. Er lautet: Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast (Ps 139,4). Aufs erste hat dieser Satz gar nichts damit zu tun, dass ich mit mir unzufrieden bin. Er macht auch keine Fehler ungeschehen. Es könnte sich fast so anhören, als wollte ich damit von dem ablenken, was missraten ist. Nach dem Motto: Schwamm drüber! So höre ich ihn aber nicht, den Satz. Er soll lediglich neben meine Schattenseiten auch das Licht stellen, das es ja auch gibt. Meine guten Seiten, das Schöne und Große. Das will ich bei allem anderen nicht übersehen, nicht vergessen. Dass jeder Mensch ein Wunder ist, faszinierend und großartig. Dass jeder tolle Begabungen hat und mit denen etwas machen kann, was anderen nützt. Gerade am Abend brauche ich diese Erinnerung, um nicht zu häufig in Traurigkeit oder Missmut zu verfallen. Ich denke an das, was in mir steckt. Und wenn mich ein anderer beleidigt hat oder schlecht behandelt, dann sage ich diesen Satz auch über ihn: über den Vorgesetzten, der falsch reagiert hat, den Schüler, der mir auf die Nerven gefallen ist, den Busfahrer, der mir die Tür vor der Nase zugemacht hat. Ich denke daran, dass das nicht alles ist, was den anderen ausmacht.

Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Der 139. Psalm ist wie alle Psalmen des Alten Testaments ein Gebet. Gott hat unsere Welt gemacht wie sie ist. Das Wesen des Menschen, mit seine Höhen und Tiefen, sind Teil davon. Ich bete oft darum, das Gute nicht zu übersehen. Bei mir und anderen. Das ist mein kürzestes Nachtgebet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24686
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