SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

Heute beginnen endlich auch in Baden-Württemberg die Großen Ferien. In Rheinland-Pfalz war der letzte Schultag schon am 30. Juni. Sechseinhalb Wochen lang gehen in den Sommerferien die Uhren anders. Nicht nur für Schüler und Lehrer. Und das ist gut so. Ich wage mich so weit vor zu sagen: Das ist so, wie Gott es ursprünglich einmal gewollt hat. Vor dem Sündenfall. Bevor Adam und Eva in den Apfel gebissen haben. Es ist so wie ganz zu Beginn. Als Gott sich überlegt hat, wie seine Schöpfung am besten wäre. Ich behaupte: Gott hat nicht gewollt, dass wir uns abrackern müssen, das tägliche Brot im Angesicht unsres Schweißes verdienen. Im Paradies - so stelle ich mir vor - gab es alles Notwendige umsonst. Was ohnehin überflüssig ist, hat keiner vermisst. Auf diese Weise ist es nicht zu den Problemen gekommen, mit denen wir uns herum schlagen müssen: dass uns die Arbeit über den Kopf wächst; dass wir in Stress geraten; dass wir neidisch darauf starren, ob der andere mehr hat als ich und nach Anerkennung gieren.

Und so, wenigstens in zarten Ansätzen und für sechs Wochen, ein bisschen paradiesisch, so ist auch die Zeit in den großen Ferien. Ich muss zwar in den ersten drei Wochen, die jetzt kommen, noch arbeiten. Aber auch da geht schon alles langsamer. Das Telefon klingelt seltener. Es kommen weniger E-mails, die ich beantworten muss. Es finden keine Besprechungen statt. Beim Einkaufen ist weniger los, und auf den Straßen auch, weil viele verreist sind. Geplant und vorbereitet werden muss auch nichts; das ist schon in den letzten Wochen passiert, damit für die Zeit danach alles läuft. Das bedeutet: Ich habe mehr freie Zeit. Und in diesem Wörtchen „frei“ steckt ein Schlüsselwort fürs Paradies. Gott hat uns so gedacht und gemacht: frei. Keinen Zwängen unterworfen, keinen unnötigen Grenzen ausgesetzt, mit denen Menschen sich gegenseitig nieder drücken. Diese Freiheit spüre ich in den Sommerferien mehr als sonst das Jahr über. Wenn ich richtig in diesem anderen Rhythmus des Lebens angekommen bin, dann merke ich das vor allem an einer Sache: Ich liege abends oder morgens im Bett  und habe keinen Gedanken an etwas im Kopf, dass ich unbedingt und schnell und sofort erledigen müsste. Das ist es, was mich das Jahr über oft stark bedrängt und mein Herz unruhig schlagen lässt. Wenn das wegfällt, dann bin ich wirklich schon ein bisschen im Paradies.

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