SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich bin evangelisch aufgewachsen. Mein Gemüsehändler ist Muslim. Im Wartezimmer meines Physiotherapeuten steht eine Buddhafigur. Und mein Nachbar ist Atheist. Jeden Tag bewege ich mich zwischen religiösen und weltanschaulichen Anschauungen, die meine in Frage stellen. Aber wer sagt mir, dass meine Überzeugungen richtiger, wahrer, besser sind als die meines Nachbarn?

Der Nährboden für Zweifel am eigenen Glauben ist heute so günstig wie nie zuvor. Allerdings - ich sehe darin eine Chance für den Glauben. Keine Bedrohung! Denn das heißt ja nur: Mein Glaube muss dialogischer werden. Er muss eine Sprache sprechen, die andere verstehen. Aber vor allem muss er sich im Leben bewähren, lebensdienlich und alltagstauglich sein. Dazu muss er den Zweifel zulassen.

Ich mache mir das klar an der Geschichte vom zweifelnden Thomas, der zum Jüngerkreis Jesu zählte. Sein Glauben war durch den Tod Jesu nicht nur in die Krise gekommen. Er war zerbrochen.

Dass die anderen Jünger später erzählten, Jesus sei auferstanden, ja, er sei ihnen sogar erschienen, das kann Thomas nicht glauben. „Wenn ich nicht meine Finger in seine Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich’s nicht glauben“, sagt er. Eine sehr moderne Reaktion: was ich nicht begreifen kann, gibt es nicht.

Seine Zweifel werden dann aber nicht dadurch besiegt, dass Jesus seine Bedingung erfüllt. Sondern durch etwas Anderes. Jesus geht auf Thomas zu, streckt seine Arme nach ihm aus und sagt ihm: Friede sei mit dir!

Friede sei mit dir! Das heißt für mich, dass Jesus den zweifelnden Thomas gerade in der Tiefe seiner Verzweiflung nicht fallen lässt. Dass er ihn zu einer neuen und anderen Beziehung einlädt. Und sich ihm in der Geste des Friedens zuwendet.

Darauf kann sich Thomas einlassen. Er ist tief berührt davon, dass Jesus ihm seine offene Wunde zeigt. Er begreift, dass Gott erfahrbar ist in den offenen Wunden des Lebens. In der Erfahrung der Einsamkeit und Gottverlassenheit. Da versteht Thomas, dass der Zweifel kein Abbruch sein muss. Sondern die Brücke zu einem neuen und tieferen Vertrauen.

Das gilt gerade dann, wenn mein Glaube heute von vielen Seiten in Frage gestellt wird. Er ist für mich übrigens alles andere als ein sanftes Ruhekissen. Sondern ein Reservoir an Erfahrungen, an Weisheit und an Lebenskraft, von dem ich gewiss bin, dass sie sich auch heute bewähren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=24656
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